Stiftung Naturschutz

„Man kann nicht mit der Brechstange kommen“

Interview mit Carl-Heinz Christiansen am 19.05.2023 in Niebüll

Vita

Geboren bin ich 1960 hier in Niebüll, aufgewachsen bin ich auf einem Bauernhof in dem kleinen Dorf Ellhöft direkt an der deutsch-dänischen Grenze. Nach der Schule habe ich KFZ-Mechaniker gelernt. Im Anschluss an die Bundeswehrzeit machte ich eine zweijährige Ausbildung zum Maschinenbautechniker in Flensburg. Danach ging es zum Arbeiten nach Esslingen im Großraum Stuttgart. Aber die Nordsee hat mich dann doch wieder in den Norden gezogen. Bis ich in Elternzeit ging, habe ich eine Zeit lang als Maschinenbautechniker in einer Firma in Husum gearbeitet.

Seit 1983 bin ich beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ehrenamtlich aktiv. Und auch hier im Naturkundemuseum Niebüll habe ich mich zunächst ehrenamtlich engagiert. Vor 25 Jahren hörte dann meine Vorgängerin auf und man fragte mich, ob ich die Stelle der Museumsleitung übernehmen wolle. Da konnte ich nicht Nein sagen und seit 1999 leite ich jetzt das Naturkundemuseum in Niebüll.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst? Wann war das?

Für Natur interessiert habe ich mich schon immer. Als Kind war ich viel im Wald unterwegs. Ich habe ältere Brüder. Einer davon hat in Hamburg Abitur gemacht und studiert und hat in Brokdorf gegen den Bau des AKW demonstriert. Mein anderer größerer Bruder kam dann zu mir und meinte, dass wir zur Umweltgruppe hier in Niebüll gehen müssten. Da traf sich 1983 die BUND-Ortsgruppe Niebüll-Leck, die sich gerade gegründet hatte. Wir sind nett aufgenommen worden und dabeigeblieben. Ich habe mich im praktischen Naturschutz, aber später auch im politischen Naturschutz engagiert.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Was waren die Aufgaben deiner Wirkungsstätten. Was hast du dort konkret gemacht

40 Jahre Naturschutzarbeit – das ist ziemlich umfangreich. Es fing ganz klein auf BUND-Ortsgruppenebene mit praktischem Naturschutz wie Müllsammeln, Büsche vom Kleingewässer entfernen und Ähnlichem an. Wir sind aber auch immer zur BUND-Kreisgruppe Nordfriesland gefahren, wo mein Bruder relativ schnell Kreisgruppensprecher wurde. Seit Anfang der 1990er-Jahre bin ich Kreisgruppensprecher. Meine Themen waren vor allem Windkraft, Energieerzeugung, also die erneuerbaren Energien. Dafür habe ich Stellungnahmen erarbeitet. Wir haben das hier nach dem Vorbild von Dänemark ein bisschen gepusht. 2008 bin ich in den BUND-Landesvorstand gewählt worden, weil die Vertretung sehr ostküstenlastig war, es sollte jemand von der Westküste hinein. Bis vor einer Woche habe ich dort auf allen Ebenen mitgewirkt. Hauptsächlich ging es bei mir um Energie- und Klimaschutzthemen. 2016 gründeten wir auf Landesebene eine Arbeitsgruppe Energiewende, deren Sprecher ich wurde.

In den 1990er-Jahren war ich hier oben in Südtondern der Ansprechpartner für Umweltschutz. Vier Jahre habe ich auch den Umweltausschuss des Kirchenkreises Südtondern geleitet. Da machte es auch nichts, dass ich nicht in der Kirche war.

Ich war auch bürgerliches Mitglied für die Grünen im Umweltausschuss des Kreises Nordfriesland. 2009 bin ich in den Naturschutzbeirat des Kreises berufen worden und seit 2019 bin ich Kreisnaturschutzbeauftragter und somit unter anderem auch Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger in Umweltfragen. Für die BUND-Kreisgruppe schreibe ich die Stellungnahmen zu den Bauvorhaben. Viel Naturschutzarbeit übernehmen auch die Ortsgruppen. Auf Landesebene haben wir einen Energie-Arbeitskreis, dessen Sprecher ich bin, und geben Stellungnahmen zu diversen Themen der Energiewende ab, zum Beispiel dem Energiewende- und Klimaschutzgesetz. Die praktische Naturschutzarbeit kommt dabei ein bisschen kurz. Ich bin mehr mit dem politischen Naturschutz befasst.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Einen großen Schub hat das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit seinen Auswirkungen auf Windkraft-, Solarenergie- und Biogasausbau gegeben, das für uns und für mich als Person ganz neue Herausforderungen brachte, weil es mit dem Windkraft­ausbau losging und im Verband die Diskussion Naturschutz contra erneuerbare Energien anfing.

Am Gesetz haben wir auch ein bisschen mitgewirkt, was einfacher war als heute. Damals waren es zwölf Seiten, heute sind es 200. Auch die Klimaschutz-Gesetzgebung hat Auswirkungen gehabt und zu Diskussionen geführt. Es gab die Vorgaben vom Land und das, was wir wollten. Das war Gegenstand unserer Stellungnahmen und der Gespräche, mit positiven Auswirkungen auf die Zielrichtung. Beim Umsetzen hapert es noch ein bisschen.

Das Atomausstiegsprozedere war ein großer Erfolg. 2010 waren wir nach Brunsbüttel gefahren, um eine Menschenkette zu bilden. Letztendlich haben mehrere Ereignisse dazu geführt, dass die Atomkraftwerke stillgelegt wurden – ein großer Meilenstein.

Die Biogasanlagen fanden wir zunächst gut, aber es ging in die falsche Richtung. „Nachwachsende Rohstoffe“ war ein gutes Stichwort, aber dass die Landwirtschaft dann nur auf Mais ging und dem nicht Einhalt geboten wurde, war für den Naturschutz, für den Wiesenvogelschutz schlecht.

Nach 20-jähriger Förderung laufen die ersten Anlagen aus. Viele Biogasanlagen, die auf Mais basieren, erzeugen Energie für das dörfliche Nahwärmenetz, was wir auch haben wollen. Biogas hat den Vorteil, dass auch Strom produziert werden kann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Und schon steht man wieder zwischen Klimaschutz, Naturschutz und erneuerbaren Energien. Die Biogasanlage bekommt durch die Wärmenutzung jetzt über die 20 Jahre EEG-Förderung hinaus einen finanziellen Deckungsbeitrag, sodass der Landwirt sie weiterbetreiben kann, aber auf der anderen Seite hat er Mais auf dem Acker, was wir auch nicht wollen. Wir müssen sehen, dass sich das gesund einpendelt.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Am Anfang meiner Naturschutzarbeit ging es mehr um den praktischen Naturschutz, um Flächenpflege oder Müllvermeidung hier auf Ortsebene. Dann kam die Energiewende in den 1990er-Jahren. Es war eine Herausforderung für mich, Antworten auf die Frage zu finden, wie wir die erneuerbaren Energien erzeugen können und wie wir den Windkraft­ausbau in gute Bahnen lenken können. Wir haben hier in Schleswig-Holstein die Vorrangflächen, die jetzt leider wieder zum Teil gekippt worden sind. Das war ein guter Ansatz, an dem wir intensiv mitgewirkt haben, um den Naturschutz zu berücksichtigen.

Meine Aufgabe beim BUND war es, den Naturschutz und die Energiewende zusammen­zuführen. Anfangs konnten Windkraftanlagen überall gebaut werden, das war der sogenannte Wildwuchs. Dann wollte das Land Windvorrangflächen ausweisen, die zwei Prozent der Landesfläche in Anspruch nehmen sollten. Die Diskussion, wo diese Anlagen stehen sollen und wo nicht, wurde in Naturschutzkreisen kontrovers geführt. Aus der Bevölkerung kamen Anrufe beim BUND zu bestimmten Flächen. Da wurde der Maisacker hinter dem Haus plötzlich zu einer Biotopfläche. 2016 haben wir in einer Sondersitzung auf der Landesdelegiertenversammlung ein Positionspapier dazu verabschiedet, mit zwei Prozent der Landesfläche für Windkraftflächen. Das Papier wurde vorher innerverbandlich sehr kontrovers diskutiert.

Ein Naturschutzverband steht auf der einen Seite für „Naturschutz über alles“, und auf der anderen Seite steht „wir brauchen Energie, aber wir wollen kein Atom, kein Öl und auch kein Gas“. Aber auch für uns kommt der Strom nicht einfach so aus der Steckdose und wir können auch nicht alles aus dem Ausland holen. Das im Verband unter einen Hut zu bekommen und die Kompromisse nach außen zu vertreten, war eine der größten Herausforderungen.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen und warum?

Ich kann mir den Erfolg nicht rein persönlich auf die Fahnen schreiben, weil ich das nicht alleine gemacht habe. Aber dass wir uns im Verband 2016 auf ein gemeinsames Kompromisspapier zur Windkraft einigen konnten und heute noch innerverbandlich dahinterstehen, dass wir kompromissbereit sind und das mittragen, ist mit der größte Erfolg. Wenn das nicht geklappt hätte, wäre der Landesverband explodiert und das wäre natürlich der Worst Case gewesen. Daran habe ich zusammen mit anderen maßgeblich im Vorwege mitgearbeitet und für Transparenz gesorgt, um den Verband zusammenzuhalten.

Wann ist dir der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

Anfang der 1980er-Jahre begann es mit dem sauren Regen und dem Waldsterben. Da ging es zunächst mehr um die Luftreinhaltung und weniger um den Klimaschutz. 1994 gab es eine Enquete-Kommission vom Bundestag, die sich mit dem Schutz der Erdatmo­sphäre beschäftigte. Das war der Punkt, wo mir, aber auch dem Naturschutz allgemein bewusst wurde, dass es nicht nur um erneuerbare Energieerzeugung geht, sondern dass Klimaschutz notwendig ist. Ansonsten hatte man schon die Energiewende auf dem Schirm, um von den fossilen Energieträgern und von Atomenergie wegzukommen.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv miteinbezogen? Wo und wann ist dir das mit welchen Maßnahmen gelungen?

Nicht nur einseitig Naturschutz oder einseitig Klimaschutz zu betrachten, hat sich wie ein roter Faden durch die ganze Arbeit gezogen. 2012 gab es den ersten Regionalplan Windkraftausbau in Schleswig-Holstein, mit dem diese zwei Prozent an Vorrangflächen ausgewiesen werden sollten. Da kam die Diskussion auf, wie wir das naturschutz­verträglich hinkriegen. Es ging um den Abstand zu Naturschutzgebieten und den Abstand zum Menschen. Das wurde im Verband, in der Landesregierung, in den Ministerien intensiv diskutiert. Der BUND und auch die anderen Naturschutzverbände haben viel mit den dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Arbeitskreisen zusammengesessen. Wir hatten Forderungskataloge aufgestellt. Bereits 2015 hatten wir einen guten Regionalplan, der dann leider vom Gericht einkassiert wurde, sodass wieder Diskussionsrunden gedreht wurden. Jetzt haben wir etwas auf dem Tisch, was leider wieder vom Gericht in Schleswig einkassiert wurde, weil man eine Nadel im Heuhaufen gefunden hat. Wir dachten, wir hätten jetzt eine Grundlage, wo überall gebaut werden darf. Als Naturschutzverbände waren wir der Auffassung, dass das Ergebnis weder für uns noch für die Windkraft­industrie das Optimum ist, aber dass wir einen guten Kompromiss zwischen Naturschutz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien hinbekommen haben. Weder wir noch die anderen Naturschutzverbände haben eine Klage angestrengt. Es waren eine kleine Bürgerinitiative, Kommunen und Investoren, die dagegen klagten.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Der BUND war immer schon für Moorpflege, Moorschutz und Wiedervernässung, alleine aus Biodiversitäts- und Artenschutzgründen, aber da war der Klimaschutz noch nicht relevant. Erst mit dem Moorschutzprogramm und dem Wiedervernässungsprogramm ist das aufgekommen. EU-Regierung, Bundesregierung und die Landesregierung fragen jetzt, wie man die Niedermoorböden, die intensiv landwirtschaftlich genutzt werden, wiedervernässen kann.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Moorvernässung aus Artenschutzgründen ist gleichzeitig auch Klimaschutz. Bei den großen Mooren, die als Naturschutzgebiete ausgewiesen sind, zum Beispiel das Dosenmoor bei Neumünster oder das Jardelunder Moor hier an der dänischen Grenze, gibt es Wasserstandanhebungen aus Artenschutzgründen, aber jetzt kann man auch den Klimaschutz mit einbeziehen.

Bei Wald ist das auch möglich. Schleswig-Holstein hat wenig Waldfläche. Wir müssten Wald neu anpflanzen und Wald langfristig stehen lassen. Wald bindet CO2 langfristig. Irgendwann wird es wieder frei, aber es baut sich auch Humus auf, in dem CO2 ebenfalls gebunden wird.

Auch artenreiche Grünlandflächen binden CO2. Wenn man diese Flächen vermehrt, gibt es noch viel Potenzial, um Naturschutz und Klimaschutz zu verbinden. Es ist erst in der Entwicklung, dass man Wiesen nicht nur aus Artenschutzgründen, sondern aus Gründen der CO2-Bindung mitdenkt.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an den handelnden Personen?

Am fehlenden Wissen liegt es nicht. Das Problem ist, vom Wissen zum Handeln zu kommen. Ein großer Bereich ist der Verkehr, die Mobilität. Wir erleben die Diskussion Tempolimit: Fast die ganze Welt hat ein Tempolimit, außer Deutschland. Das eigene Auto ist die heilige Kuh des Deutschen, jeder braucht mindestens ein Auto. Ja, es gibt Mobilitätsprobleme, gerade auf dem Land. Ich muss irgendwie von A nach B kommen, aber wir müssen weg von der Masse an Autos. Andere Konzepte umzusetzen, ist sehr schwer und schleppend. Aber Carsharing geht auch im Dorf: Hier in Klixbüll wurde das Dörpsmobil erfunden.

Ein anderes Beispiel ist das Nahwärmenetz auf dem Dorf. Wir haben eine Riesen­diskussion über die Umstellung der Gebäudeheizung. Die Dänen haben schon vor zehn Jahren umgestellt und fossile Heizungen verboten und sind trotz alledem die glücklichsten Menschen der Welt. Wir hingegen erklären die Ölheizung zum Kulturgut bzw. es wird von der falschen Information ausgegangen, dass wir ab Januar 2024 keine Ölheizung mehr haben dürften und sie herausreißen müssten. Das stimmt nicht und verunsichert viele. Unser Festhalten am Gewohnten macht es sehr schwer. Aber der Endpunkt ist da und je dichter wir herankommen, umso schlimmer wird es später werden. Wenn wir vor zehn Jahren angefangen hätten, wäre das jetzt überhaupt kein Thema mehr.

Gibt es, wenn du auf die einzelnen Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Wir haben schon immer versucht aufzuklären, haben Vorträge gehalten, Positions- und Hintergrundpapiere veröffentlicht und Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Es hilft nicht, wenn die Politik nicht mitzieht. Wir haben bei der Politik auf der Matte gestanden, aber wenn die sich nicht traut? Wir sind zu Demos gefahren und haben selber welche organisiert. 2010 sind wir mit fünf Bussen nach Brunsbüttel gefahren, um uns an der Menschenkette zu beteiligen. Die Bevölkerung stand hinter der Forderung „raus aus der Atomkraft“. Damals hätte man schon die Weichen stellen können, um weg von fossilen Heizungen zu kommen. Aber die Regierung hat nicht mitgezogen. Und wenn es konkret wird und die Leute ihre Heizungen ändern oder auf ihr Auto verzichten sollen, wird es schwierig. Dasselbe Problem haben wir bei Verpackungen, bei Müllvermeidung. Alle sind für Naturschutz, aber nur, wenn es nicht hinter dem Haus oder im eigenen Garten stattfindet.

Wir hätten nichts anders machen können. Man kann nur reden und aufklären. Man kann nicht mit der Brechstange kommen. Handeln muss letztendlich jede und jeder für sich.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur und Klimaschutz?

Klimaschutz und Naturschutz müssen jetzt permanent zusammengedacht werden. Darin liegen große Chancen. Die Verbindung von Naturschutz und Klimaschutz gelingt am besten durch die Wiedervernässung von Moorböden, indem wir artenreiches Grünland mehr etablieren und Photovoltaik-Freiflächenanlagen naturfördernd konzipieren. Das ist erfolgreich umsetzbar, wenn von der Politik die Rahmenbedingungen kommen, die für die Landwirtschaft stimmen.

Ein Landwirt, der Moorböden hat, will wirtschaften und davon leben. Heute bekommt er seine Flächenprämie und damit ist für ihn alles gut. Man muss den Landwirten erklären, dass sie Geld aus dem Fördertopf für die Ökoleistung bekommen, wenn sie anders wirtschaften. Öffentliches Geld für öffentliche Leistung. Statt 160 Kühe nur noch 80 auf der gleichen Fläche, die Wiedervernässung von Böden und dafür den Ausgleich bekommen. Das ist ein großer Umdenkprozess, denn die Großväter und Väter haben das alles entwässert und urbar gemacht.

Ich bin auch im Beirat zur Niederungsstrategie. Da geht es in den Diskussionen um die großen Flächen, die jetzt schon unter dem Meeresspiegel liegen, hier zum Beispiel der Gotteskoog. Die Vorväter haben da Aale gefangen, so viele, dass sie damit die Schweine gefüttert haben. Dann ist alles entwässert worden. Wenn man die Pumpen abstellt und das Gebiet absaufen lässt, wird man keinen Meter Klimaschutz oder Naturschutz hinbekommen, weil vorher die Fäuste hochgehen.

Aber wir müssen uns fragen, was wir in den Niederungsflächen machen können. Dafür Lösungen zu finden, ist eine große Herausforderung. Als Verband sehen wir uns hier auch als Partner und beteiligen uns deshalb in der Niederungsstrategie und beim Thema Moorvernässung, damit die Politik nicht alleine dasteht. Auch bei der Kommission Zukunft Landwirtschaft sind wir als Verband vertreten, um im Dreieck Politik, Naturschutz, Landwirtschaft bzw. Landbesitzende mitzureden.

Klimaschutz ist nicht gleich Naturschutz, man kann aber Klimaschutz gut mit Artenschutz kombinieren. Mit den Photovoltaik-Freiflächenanlagen haben wir eine Riesenchance, auch Artenschutz zu betreiben. Durch naturverträgliche Anlagen mit Wildkräutergrasmischung, mit Blühflächen und der entsprechenden Pflege dieser Anlagen. In den nächsten Jahren kommt da weder Gülle hin, noch wird gespritzt, gepflügt oder geeggt. Wir dürfen nicht nur kompakte Solaranlagen ausschließlich mit der Zielrichtung Energieerzeugung bauen, sondern in Kombination mit einem Nutzen für die Natur. Das sind dann aber keine Naturschutzgebiete.

Offen müssen wir auch bei den Moorböden denken. Auf der einen Fläche ist es möglich, nachwachsenden Rohstoff für die Papierherstellung zu ernten, auf einer anderen Fläche kann man vielleicht PV-Anlagen hinstellen und wiedervernässen, sodass CO2-Bindung stattfindet, auf einer dritten Fläche lässt sich vielleicht Reet für den Reetdachbau anbauen. Die Klimafarm in Erfde versucht, Nutzungsalternativen zu entwickeln, wie man mit wieder­vernässten Moorböden umgehen kann. Da geht es um die Kombination Klimaschutz, Artenschutz, um nachwachsende und auch neue Rohstoffe.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Gespräche, Transparenz und Kommunikation sind wichtig. Das haben wir auch beim BUND gelernt. Früher wurden irgendwelche Stellungnahmen als unsere Meinung herausgegeben und die Mitglieder sollten dem folgen. Heute werden unsere Positionen innerverbandlich stärker diskutiert. Wir Naturschützer müssen auch mal Maximalforderung Maximalforderung sein lassen und lieber einen Schritt in die richtige Richtung tun als gar keinen Schritt. Und in ein paar Jahren kommt dann der nächste Schritt. Es ist mit Sicherheit der verkehrte Weg, auf der eigenen Meinung zu beharren und kein Wort mehr miteinander zu reden. Wir müssen alle lernen, dass die Zukunft anders sein wird als die Vergangenheit. Und für die Landwirte muss es sich letztendlich lohnen. Sie wollen am Ende des Jahres Geld auf dem Konto haben wie jeder andere auch. Das muss man akzeptieren.

    Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

    Wir vom BUND haben immer schon gesagt, dass wir Klimaschutz brauchen und von den fossilen Heizungen weg müssen. Wir brauchen mehr Tempo bei der Gebäudesanierung. Bei einem Prozent im Jahr dauert es 100 Jahre, bis wir durch sind. Wir haben aber nur noch 20. Das ist alles nicht neu, nur die Politik kommt nicht hinterher oder traut sich nicht.

    Wir sollten nicht von oben herab Gesetze erlassen und den Leuten etwas vorschreiben, ohne vorher zu diskutieren, warum es notwendig ist. Und man muss Anreize schaffen.

    Ganz allgemein sollte mehr zugehört und miteinander geredet werden. 2008, als ich in den BUND-Landesvorstand ging, war die Verbandsstruktur durch die Kreisgruppen gegeben. In Kiel war die Geschäftsstelle mit einem Vorstand, deren Arbeit sehr auf die Vorsitzende und den Geschäftsführer fokussiert war. 2012 bis 2014 kam ein großer Umbruch, eine Explosion, die aus heutiger Sicht gut war, aber damals natürlich mit grundsätzlichen Fragen einherging wie: Wo geht der BUND jetzt hin? Es war wie ein reinigendes Gewitter. Wir haben den Prozess hinbekommen mit einem neuen Vorstand und in unzähligen Diskussionsrunden und Klausuren, bei denen wir lernten zuzuhören, innerverbandlich Wertschätzung zu üben, verschiedene Meinungen in unsere Arbeit und Haltung einzubauen und die Mitglieder zu beteiligen.

    Bei der Verabschiedung von Claudia Bielfeldt und mir wurde das nochmal sehr hervor­gehoben: Wertschätzung, Verlässlichkeit, Ansprechbarkeit, für Transparenz gesorgt zu haben, was uns gar nicht so bewusst war. Auch Kontakt und Austausch zu suchen mit hauptamtlichen Mitarbeitenden und den Ministerien. Unsere Meinung ist gefragt. Diese Entwicklung brauchte natürlich Zeit, war aber auch insofern erfolgreich, dass sich nun für alle drei frei werdenden Plätze im Vorstand schon im Vorwege Mitglieder fanden, die kandidieren wollten.

    Wenn wir heute eine Stellungnahme schreiben, dann gibt eine Fachperson etwas vor und dann dreht das seine Runden. Wir haben mehrere Ausschüsse: Land und Natur, Energie­wende, Mobilität, Atom und andere mehr. Wir haben einen übergreifenden Ausschuss. Und alle sind mit Ideen daran beteiligt. Am Ende bekommen wir eine Stellungnahme zu einem Gesetz, an der viele mitgewirkt haben und überzeugt sind, dass es Hand und Fuß hat. Dadurch ist die Qualität des Ergebnisses, das wir an das Ministerium liefern, besser geworden und das wird auch wahrgenommen.

    Wir sind bundesweit beachtet worden, als es um die große 380-kV-Starkstromtrasse an der Westküste ging. Sie konnte konfliktfrei gebaut werden, weil auch Tennet und Landesplanung noch vor den offiziellen Beteiligungsmöglichkeiten mit uns am Tisch gesessen haben, um auszuhandeln, wie wir das am besten hinbekommen. Es ging nicht um jeden einzelnen Mast, aber um Fragen wie: Wie kriegen wir die Eider gequert? Was könnt ihr zur Vermeidung von Beeinträchtigungen oder zum Ausgleich bieten? Wir haben Kompromisse gesucht. Wenn gesagt wird: „Wir bauen da längs und fertig!“, trifft man sich vor Gericht.

    Aktuell haben wir die Diskussion um den Nationalpark Ostsee. Ich erinnere noch die Diskussion zum Nationalpark Wattenmeer von 1985. Fast alle hier waren dagegen. Die Regierung in Kiel hat den Nationalpark letztendlich durchgesetzt und es herrschte großes Geschrei, weil man vorher nicht intensiv genug mit der Bevölkerung vor Ort gesprochen hatte. Erst spät kam die Erkenntnis, dass wir immer noch wattwandern und Landwirtschaft betreiben dürfen. Heute sind wir alle froh und stolz, dass der Nationalpark Welterbe-Status hat.

    So ein Ablauf darf sich jetzt beim Nationalpark Ostsee nicht wiederholen. Im Koalitions­vertrag steht, dass man einen Diskussionsprozess anstoßen will, und schon kommen, von den Medien angeheizt, Befürchtungen auf, was man alles nicht mehr machen dürfe. Nicht mehr kiten, nicht mehr angeln, nicht mehr segeln usw.. Der Umweltminister predigt immer wieder, dass wir ja erst anfangen zu diskutieren: Wie kann man es machen, wo kann man es machen?

    Wir als Verband sagen: Wenn Nationalpark draufsteht, muss auch Nationalpark drin sein. Wir fangen innerverbandlich erst einmal einen Diskussionsprozess an, wie der Nationalpark aussehen soll. Mit der großen Keule und einem Gesetz wird das nichts. Auch unsere Leute vor Ort müssen sich einschalten und mitdiskutieren können. Vielleicht können wir dann in drei Jahren sagen, wie die Verordnung, das Nationalparkgesetz aussieht. Aber erst sollten wir reden und auch transparent machen, welche Chancen damit verbunden sein können. Man muss die Bedürfnisse der Bevölkerung auch vom Naturschutz aus anerkennen und schauen, wo man Schnittmengen findet und wie man das unter einen Hut bekommt beim nächsten Schritt in die richtige Richtung.