Stiftung Naturschutz

„Aufrecht untergehen oder versuchen, ein Rettungsboot aufzublasen?“

Interview mit Christof Martin am 02.02.23 in Schinkel

Vita

Ich heiße Christof Martin, geboren wurde ich am 28. Januar 1963 in Wiesbaden. Mein Vater ist Landschaftsökologe, meine Mutter studierte damals Lehramt. Nach einem Jahr sind wir nach Dornhan, Kreis Horb in den Südschwarzwald gezogen. Da habe ich Laufen gelernt und meine ersten Pflanzen kennengelernt. Eingeschult wurde ich in Schorndorf im Remstal östlich von Stuttgart im Kreis Waiblingen. 1972 sind wir nach Solingen ins Bergische Land gezogen. Dort habe ich 1982 mein Abitur gemacht. Ich war ein Jahr bei der Bundeswehr in Rotenburg/Wümme und habe 1983 in Köln angefangen, Biologie zu studieren. Nach dem Vordiplom 1986 habe ich den Studienort gewechselt und bin nach Kiel gegangen. 1989 habe ich bei Klaus Dierßen eine vegetationskundliche Arbeit über das Tetenhusener Moor geschrieben. 1985, noch vor dem Vordiplom, habe ich mein erstes Gutachten erstellt, die freiberufliche Arbeit hat sich parallel zum Studium und danach bis 2021 fortgesetzt. Ich habe 1985 ein Planungsbüro gegründet. Seit 1992 ist es eine GmbH, die GFN (Gesellschaft für Freilandökologie und Naturschutzplanung mbH) in Kiel mit mittlerweile über 140 festangestellten Mitarbeitern. Aufgrund einiger gesundheitlicher Probleme habe ich Ende 2021 meinen Büroanteil abgegeben und das Arbeiten eingestellt. Jetzt mache ich nebenbei noch ein bisschen NGO-Arbeit.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst? Wann war das?

Als Grundschüler habe ich um 1975 herum einen Leserbrief an das Solinger Tageblatt geschrieben, weil bei uns auf der Straße so viele totgefahrene Igel lagen: Die Autofahrer sollten mal ein bisschen Rücksicht auf die armen Igel nehmen. Daraufhin hat mich Wolfgang Zehlius-Eckert, der mittlerweile an der Uni Weihenstephan arbeitet, angerufen und mich für die Jugendgruppen vom Rheinisch-Bergischen Naturschutzverein und vom BUND in Solingen geworben. Da blieb ich bis zum Studium. Ich habe auch die Jugendgruppe geleitet, und dort habe ich meine naturschutzfachliche Basis gefunden. Mein Vater ist sehr interessiert an Tieren und Pflanzen und hatte mir bei jedem Spaziergang alle Pflänzchen gezeigt, die er kannte und mich dann abgefragt. Das war manchmal ein bisschen anstrengend, aber ich habe dadurch eine überdurchschnittlich gute Artenkenntnis bekommen.

Mein Studium habe ich in Köln begonnen. Nach Kiel bin ich dann gegangen, weil hier in Plön auch das Max-Planck-Institut für Limnologie war, das ja leider eingestellt wurde. Ich wollte in die Zoologie und zu Professor Heydemann. Als ich im Wintersemester 1985/ 1986 nach Kiel kam und ins zoologisches Großpraktikum wollte, waren an der Nordsee tausende Seehunde an der Seehundstaupe gestorben. Die toten Seehunde wurden in großen Plastiktonnen nach Kiel gebracht und im Zoologischen Institut der Uni untersucht. Es hat dadurch in dieser Abteilung teilweise so bestialisch gestunken, dass ich aus dem fünften Stock lieber in den dritten Stock in die Botanik gegangen bin und mich in das botanische Großpraktikum gesetzt habe. Da war gerade noch ein Platz frei bei Klaus Dierßen und Hartmut Usinger. Da ich sowohl an Flora und Fauna interessiert (biologischer Universaldilettant) war, machte es damals für mich keinen großen Unterschied, ob das Praktikum einen botanischen oder zoologischen Schwerpunkt hatte.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Welche Aufgaben hatten deine Wirkungsstätten, was hast du dort konkret gemacht?

Wir haben in den 1980er-Jahren im Rheinisch-Bergischen Naturschutzverein in Solingen mit praktischem Naturschutz angefangen. Ich habe Kopfweiden in Bachtälern geschnitten. Das Heidemoor Ohligser Heide am Rand des Bergischen Landes an der A3 war das erste Naturschutzgebiet, in dem wir mit Entkusselungsarbeiten und Grabenanstau aktiv waren. Wir haben da einmal „illegal“ ohne vorherige Absprache ein Rohr unter einem Weg angestaut. Da ging ein 110 kV-Erdkabel durch und mir wurde damals Himmel und Hölle angedroht und die Kabelbetreiber würden mir alle Kosten in Rechnung stellen, wenn es mal einen Kurzschluss gebe. Aber bis heute ist nichts passiert und das Gebiet hat sich sehr schön vernässt.

Während meines Grundwehrdienstes bekam ich Kontakt zum BUND-Zentrum in Möggingen bei Radolfzell und darüber zum DJN, dem Deutschen Jugendbund für Naturbeobachtung. Im DJN war ich fünf Jahre und habe zusammen mit Gerald Bothe, der den Schwebfliegen-Bestimmungsschlüssel geschrieben hat, ein Sommerlager in Mittenwald durchgeführt, danach noch eins in der Eifel, beide mit jeweils 25 Jugendlichen. In Möggingen lernte ich Claudia Huber kennen, die dort ihre Doktorarbeit über Libellen schrieb, und ich begann ebenfalls, mich für Libellen zu interessieren. Die ersten beiden Arten, die ich dort kennengelernt habe, waren die Helm-Azurjungfer und die Späte Adonislibelle, beides Arten, die in Deutschland sehr selten und fast ausgestorben sind. Seit 1983 habe ich keine Helm-Azurjungfer mehr gesehen. Alles, was ich damals mit meinen 21 Jahren über Libellen wusste, habe ich dann in einen Vortrag an der Volkshochschule gepackt. Ich habe zweieinhalb Stunden geredet, und keiner hat gewagt, den Finger zu heben und zu sagen: „Christof – ist jetzt gut. Kannst Schluss machen. Wir können nicht mehr.“

Aber aufgrund dieses Vortrags bekam ich den Auftrag für mein erstes Gutachten. Zu dieser Zeit wurden Pflege- und Entwicklungspläne für alle Schutzgebiete in Nordrhein-Westfalen erstellt. Oliver Schall, der in Düsseldorf Vegetationskunde studiert hatte, war nach der Ausbildung freiberuflich tätig und suchte Leute, die in der Ohligser Heide Libellen, Vögel und Amphibien kartieren. Ich wurde aufgrund meines Vortrages gefragt, ob ich dort Libellen kartieren wollte. So habe ich dann1985 für 1.500 D-Mark den ganzen Sommer in der Ohligser Heide Libellen kartiert. Im darauffolgenden Jahr haben wir dann mit einigen Leuten aus dem „Ohligser Heide Team“, die damals in Köln und Düsseldorf studierten, die AFN – Arbeitsgemeinschaft für Freilandökologie und Naturschutzplanung als GbR gegründet und weitere sechs Biotopmanagementpläne in Solingen erarbeitet. Die Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung und Forstplanung (LÖLF) fand die Arbeit gut, und wir haben in der Folge auch von der LÖLF Aufträge bekommen. Das war der Start in die Freiberuflichkeit. Das Büro wurde dann in GFN – Gesellschaft für Freilandökologie und Naturschutzplanung GbR umbenannt.

Nebenbei habe ich während des Studiums in Köln Max Hölting, einen im Naturschutz tätigen Malermeister im Ruhestand, bei den Kartierungen zur Flora von Solingen unterstützt. Wir haben damals das Stadtgebiet in hundert Rasterfelder unterteilt, sind diese abgegangen und -geradelt und haben eine Strichliste für die Pflanzenarten geführt, die dort wuchsen. Alles schön analog auf Karteikarten. 1985 kam die erste Ausgabe der „Flora von Solingen“ von Hölting/Martin heraus.

Das GFN-Team hat sich dann im Rahmen des Studiums aufgeteilt, einer blieb im Rheinland, ich ging nach Kiel und die beiden anderen nach Bayreuth und Würzburg, sodass wir schnell ein Briefpapier mit vier Bürostandorten in Deutschland erstellen konnten. Wir haben damals in erster Linie Kartierungen in Schutzgebieten gemacht.

1989 habe ich meine Diplomarbeit unter Betreuung von Klaus Dierßen zur Vegetation des Tetenhusener Moores geschrieben und mich hierbei auch in die Moose eingearbeitet. Von 1989 bis 1993 konnten wir unter Vermittlung von Klaus Dierßen und im Auftrag vom Bundesamt für Naturschutz und Landkreis bzw. der Stadt Cuxhaven den Pflege- und Entwicklungsplan für das Naturschutzgroßprojekt Krähenbeer-Küstenheiden bei Cuxhaven erarbeiten, ein 1.400 Hektar großes Gebiet mit einem großen Truppenübungsplatz im Bereich Altenwalde, Duhnen, Sahlenburg. Das war unser erstes größeres Projekt. Parallel haben wir für die Deponie-Standortsuche Ostholstein den naturschutzfachlichen Teil erarbeitet und dafür kartiert, was auf den Ackerflächen in Ostholstein kreuchte und fleuchte. Nebenbei gab es ein paar kleine Pflegepläne, beispielsweise für das NSG Drachensee bei Kiel. Um die Arbeit zu schaffen, hatten wir Freund*innen aus dem Studium angestellt.

Aber als diese Projekte zu Ende waren, hatte unser Planungsbüro keine Anschlussprojekte und noch ganz schön viele finanzielle Verpflichtungen. Wir mussten daher alle unsere Freunde aus dem Studium „Hals über Kopf“ entlassen und in die Wüste schicken. Das war relativ hart. 1992 haben wir uns dann entschlossen, die GFN in eine GmbH zu überführen.

Zu dieser Zeit habe ich auch zusammen mit Klaus Dierßen im Team der Mooskartierung Schleswig-Holstein mitgearbeitet und im Zeitraum von ca. zehn Jahren jährlich auf fünf bis sechs Exkursionen im Jahr Moose kartiert. Die Hauptarbeit an der Publikation, dem Verbreitungsatlas der Moose in Schleswig-Holstein und Hamburg, wurde aber von anderen Personen, u.a. Jürgen Dengler und Florian Schulz geleistet, ich bin lediglich einer der Co-Autoren. Aber über die Arbeit in der AG Geobotanik, das Studium und die Zusammenarbeit mit anderen Kolleg*innen bin ich ganz gut vernetzt.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Ich habe sehr früh festgestellt, dass die Arbeit als Biologe damals finanziell nicht so richtig gut entlohnt wurde. Man bekam damals als Biologe deutlich weniger Geld als Landschaftsarchitekten, Bauingenieure oder Juristen. Ich habe mich daher schon während des Studiums im VdBiol, dem Verband Deutscher Biologen engagiert und wir haben mit weiteren Kolleg*innen 1989 die Fachsektion Freiberufliche Biologen im VdBiol gegründet. Ich war dort 15 Jahre lang im Vorstand aktiv. Wir haben Anbieterverzeichnisse und Empfehlungen zur Honorarermittlung erstellt und versucht, die Bezahlung für Biologen vernünftig zu gestalten, sodass wir als Akademiker nach einer langen Ausbildung nicht schlechter bezahlt werden als z.B. KFZ-Mechaniker in der Werkstatt. Diese berufsständische Arbeit hat mich die letzten 30 Jahre begleitet. Natürlich hatte ich auch ein finanzielles Eigeninteresse. Wir haben anfangs als „Datenknechte“ für etablierte Landschaftsarchitekten gearbeitet. Im Gebiet Fleuthkuhlen bei Issum (Kreis Kleve) haben wir z.B. für wenig Geld die Frösche für einen Landschaftsarchitekten gezählt. Und der hat dann sehr viel mehr Geld für das Gutachten bekommen. Wir haben uns dann gesagt, dass wir das auch können und dass wir nicht wollen, dass unsere Daten von anderen Leuten ausgewertet werden, die aus unserer damaligen Sicht weniger Ahnung hatten. Am Anfang hat uns das viele Projekte gekostet und wir sind von den Landschaftsarchitekten als ernsthafte Konkurrenz empfunden worden. Irgendwann sagte einer: „Ja, dann kommt das noch so weit, dass ihr euch eine Landschaftsplanerin einstellt und anfangt, Landschaftspläne zu erstellen.“ Darauf habe ich gesagt: „Genau das ist unser Ziel.“

Als wir dann die erste Umweltverträglichkeitsstudie für eine Ortsumgehung gemacht haben, gab es auch Nachfragen beim Umweltministerium, ob wir das als Biologen und GmbH überhaupt dürften. Das Ministerium bestätigte uns dann, dass Landschaftsplaner kein Monopol auf derartige Arbeiten hätten. Damit war die Sache durch. Aber solche Diskussionen haben den Berufsstart nicht gerade erleichtert.

Wir haben als Büro immer versucht, Projekte mit Naturschutzbezug, also Pflege- und Entwicklungspläne für Schutzgebiete, FFH-Managementpläne, Monitoring von geschützten Arten zu machen und nicht nur Eingriffsprojekte wie z.B. Straßenbau, Landschaftspflegerische Begleitplanung, Windparks zu bearbeiten.

Es war ein Schwerpunkt meiner Arbeit im Büro, die „nicht so gut bezahlten“ Projekte für den Naturschutz zu bearbeiten.

Ich bin deswegen kein „klassischer“ Naturschützer, weil ich ja mit der Arbeit im Naturschutz Geld verdient habe und auch Projekte begleitet habe, die von den NGOs und Verbänden abgelehnt wurden. Ich habe daher häufig zwischen allen Stühlen gesessen. Für die Eingreifer war ich der teure, überflüssige Biologe, der Frösche da findet, wo sie stören, oder der Probleme macht, weil etwas umgesiedelt werden muss, oder weil die Kartierungen dazu führen, dass nicht 20, sondern nur 15 Windräder gebaut werden können.

Für den „klassischen“ Naturschutz, also für die Fundis im BUND und dem NABU, bin ich immer der bezahlte Erfüllungsgehilfe der Eingreifer gewesen, der für Geld das grüne Mäntelchen über jede Planung gelegt hat und daher aktiv mit dazu beigetragen hat, dass die Natur zerstört wird. Das hat die Zusammenarbeit teilweise belastet.

Welche Programme oder Richtlinien haben deiner Meinung nach die Naturschutzarbeit vorangebracht in Schleswig-Holstein?

Als ich Abi gemacht habe, war CBD in Rio 1992 (Convention of Biological Diversity). Da wurde mit großem Bohei beschlossen, dass die Welt besser oder zumindest nicht schlechter werden solle. Es hat viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, aber in der Sache nur wenig genutzt. Dann gab es auf EU-Ebene Natura 2000, erst die Vogelschutzrichtlinie und dann die FFH-Richtlinie. Da dachten wir, Deutschland kriegt es nicht gebacken, aber auf EU-Ebene passiert etwas. Aber eigentlich hat das auch aus meiner Sicht den Niedergang der Natur lediglich verlangsamt. Später kam die EU-Wasserrahmenrichtlinie, auf die wir auch große Hoffnungen gesetzt haben. Die hat die Welt auch nicht viel besser gemacht, aber vielleicht dazu beigetragen, dass die Welt langsamer schlechter wird. 2010 gab es dann die CBD in Aichi/Nagoya und die Nachhaltigkeit wurde zum Thema, gefolgt von Kyoto mit dem Klimaschutz. Jedes Mal dachten wir, jetzt hätten es die Bevölkerung oder die Politik begriffen. Ende 2022 wurden dann in Montreal bei der dortigen CBD noch einmal 30 Prozent Schutzgebiete und 30 Prozent Restauration beschlossen und alles soll jetzt wirklich besser werden, aber alles auf freiwilliger Basis. Und niemand hat darauf hingewiesen, dass das schon einmal fast wortgleich beschlossen wurde und dass die damaligen Ziele auch kaum erreicht wurden. Wenn es etwas gebracht hat, dann nur für Leuchtturmarten wie Seeadler, Kranich, Biber. Aber viele unscheinbare Arten, Moose, Flechten, Insekten, Grasfrösche, Feldlerchen oder Rebhühner sind großflächig verschwunden. Da mache ich mir nicht so viel Hoffnung.

Das Hauptproblem und das größte Übel ist die intensive Landwirtschaft. Zu viele Menschen, zu viel Fleisch, zu billiges Essen. Wenn wir eine andere Landwirtschaft hätten, wären auch ein paar Windräder mehr kein Problem. Dann würden zwar ein paar mehr Adler geschreddert. Aber wir hätten nicht fünfzig, sondern zweihundert Adler und die Population wäre gesichert, auch wenn es um jeden einzelnen Adler schade ist. Jetzt machen wir einen Riesenbohei um Arten wie das Rebhuhn, das „streng geschützt“ ist und nicht geschossen werden darf. Aber durch die „ordnungsgemäße Landwirtschaft, die dem Naturschutz dient“, haben wir Rückgänge im Bestand von 99 Prozent, und die Art stirbt aus wie die Feldhamster. Dann kommt ein Euphemismus dazu: Die Art stirbt nicht aus, sie wird aktiv ausgerottet. Das lügt man sich so zurecht.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Wenn ich in die Landschaft gehe, möchte ich mich an ihr erfreuen. Ich möchte, dass im Frühjahr die Lerchen rufen, dass im Sommer Schmetterlinge herumfliegen und die Wiesen bunt sind. Wenn man heute durch Schleswig-Holstein geht – und andere sagen vielleicht „ah, Natur pur!“ und „guck mal, die schönen gelben Rapsfelder“ – sieht man überwiegend eine großflächig vergiftete und überdüngte Landschaft. Das macht keinen Spaß mehr. Als ich 1989 meine Diplomarbeit in Tetenhusen geschrieben habe, bin ich von Haberland ins Tetenhusener Moor gefahren. Da waren Kiebitze, Brachvögel, Uferschnepfen, Kampfläufer links und rechts im Grünland. Heute sehe ich dort zwei Kiebitze auf einem Maisacker. Kein Wiesenschaumkraut mehr, keine Kuckucks-Lichtnelke. Der Naturschutz hat es nicht geschafft, diesen schleichenden Verlust gut zu kommunizieren. Das Grünland, das wir großflächig kaputt gemacht haben, ist nie richtig wertgeschätzt worden. Man hat sich auf die Schutzgebiete zurückgezogen und gesagt: „Hier haben wir unsere drei Hektar Moor und lass' den Landwirt darum herum doch seinen Mais anbauen.“ Die Auswirkungen der Pestizide und Düngemittel, die flächendeckende Eutrophierung hat keiner so richtig sehen wollen. Man wollte sich nicht mit der Intensivlandwirtschaft anlegen, weil man gesagt hat: „Wir brauchen die doch, damit wir mit denen gemeinsam Naturschutz betreiben können.“ Das ist meiner Meinung nach völlig in die Hose gegangen.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen und warum?

Richtig naturschutzfachlich große Erfolge würde ich mir nicht zuschreiben. Ich habe Stellungnahmen zu Gesetzgebungsvorhaben geschrieben. Es kann sein, dass hierdurch mal ein Halbsatz geändert wurde, der dann Auswirkungen hat, die man vielleicht in zehn Jahren feststellt.

Vor zehn oder zwölf Jahren, als Angela Merkel den Atomausstieg rückgängig machen wollte, bin ich bei den Grünen eingetreten. Wir haben schon vor sechs Jahren auf einer Sitzung auf Vilm ein Papier zum Moorschutz geschrieben. Ich könnte mir vorstellen, dass dieses Papier, das den damaligen wissenschaftlichen Kenntnisstand in die Partei hineingetragen hat, vielleicht so etwas wie das aktuelle „Aktionsprogramm Klimaschutz“ zumindest unterstützt hat. So etwas würde ich mir als Erfolg vorstellen.

Ich habe vielleicht mit dazu beigetragen, dass manche Sachen langsamer schlechter geworden sind, als sie vielleicht ohne mich schlechter geworden wären. Aber es fällt mir schwer, das als Erfolg zu verkaufen.

Wann ist dir der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

Die Krähenbeer-Küstenheiden bei Cuxhaven und die Ohligser Heide in Solingen, wo wir gearbeitet haben, waren Heidemoor-Gebiete. Ich habe eine hohe Affinität zu den Mooren und zu den mageren Feuchtlebensräumen, also Feuchtheiden, Mooren, Hochmooren mit den Torfmoosen. Darüber sind wir wahrscheinlich mit dem Problem des Klimaschutzes konfrontiert worden.

Über die CO2-Freisetzung und Klimaschutz wurde schon gegen Ende meiner Schulzeit 1982 gesprochen. Da war die Regenwaldabholzung und wir hatten den sauren Regen und das Waldsterben als Thema. Als ich Abi gemacht habe, fielen die Nadeln von den Fichten und die Seen in Skandinavien versauerten. Das war die Auswirkung der hohen Schornsteine, die man an Rhein und Ruhr gebaut hat, damit begann der Ferntransport der Schwefelabgase nach Skandinavien. Aber der Himmel an Rhein und Ruhr wurde wieder blau.

Um 1985 herum kam eine Broschüre heraus. Zu der Zeit war Gerhart Baum von der FDP Umweltminister. Da stehen Sachen drin, die sich die Grünen heute nicht getrauen zu fordern. Da wurde diese großflächige Umweltzerstörung thematisiert. Und dass wir nicht immer mehr Autos brauchen, sondern mehr Degrowth. Wenn man sich heute Christian Lindner und Volker Wissing anguckt, fragt man sich, was die die letzten 50 Jahre mitbekommen haben. Warum dürfen solche Leute überhaupt den Mund aufmachen? Aber das ist halt so in der Demokratie. Ich bin ja nicht König von Deutschland.

Meine Frau, die auch Biologie studiert hat, meint, dass Heino Fock 1988/89 eine Diplomarbeit bei Professor Heydemann über Klimawandel und Wattenmeer geschrieben hat. Und ich kann mich daran erinnern, dass Klaus Dierßen gesagt hat, die Hochmoor-Regeneration würde schwierig, weil durch den Klimawandel die Bedingungen gar nicht mehr gegeben seien, wir nicht mehr genug Regenüberschuss haben, damit sich überhaupt noch Hochmoore bilden können. Das ist alles schon in den 1990er-Jahren diskutiert worden. Es gab damals von Hoimar von Ditfurth erste Sendungen im Fernsehen, in denen er den Anstieg der Treibhausgase thematisierte. Also man wusste es, aber es hat sich keiner eine Vorstellung davon gemacht, was das eigentlich bedeutet. Wenn wir ab 1990 angefangen hätten zu handeln, hätten wir heute viele Probleme nicht. In den Fachkreisen war es damals schon bekannt.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv mit einbezogen? Wo und wann ist dir das mit welchen Maßnahmen gelungen ?

Ich war 1983 am Bodensee. Dort habe ich die schwarz-gelb gestreifte Zebraspinne, Argiope bruennichi, das erste Mal gesehen. Die Art war mediterran verbreitet und damals gerade über die Alpen durch das Rhonetal bis an den Bodensee gekommen. Als wir 1987 die Biotopmanagementpläne in Mettmann, Kreis Düsseldorf, gemacht haben, fanden wir diese Spinne in Düsseldorf. Sie hatte es in fünf Jahren diese 500 Kilometer nach Norden geschafft, inzwischen ist sie auch in Schleswig-Holstein angekommen. Damals war schon klar, dass irgendwas passiert, sodass sich mediterrane Arten ausbreiten. Die zweite Art, bei der das deutlich wurde, war die Feuerlibelle, Crocothemis erythraea, eine knallrote, ganz auffällige Libelle, die am Mittelmeer ganz charakteristisch ist. Sie ist durch das Rheintal bis zum Ahrtal, wo die Weinbauregionen sind, eingeflogen. Irgendwann ist sie in Hamburg angekommen und fliegt jetzt durch Schleswig-Holstein. Schon zu Beginn meines Studiums war die Ausbreitungstendenz solcher wärmeliebender Arten feststellbar. Das hat man vielleicht nicht unbedingt mit Klimawandel verknüpft.

Die Kombination Klima- und Naturschutz hat sich erst in den letzten zehn Jahren durch die Wiedervernässungsmaßnahmen in den Mooren ergeben. Als man gesagt hat: „Wir wollen den Treibhausgasausstoß aus den Mooren reduzieren und müssen die organischen Böden feuchter machen.“

Die Diskussion, dass hochmontane Arten im Harz irgendwann aussterben werden, weil es wärmer wird und die Vegetationsgrenzen hochwandern und die Brockenanemone irgendwann verschwindet, weil sie nicht noch mal hundert Meter in die Höhe wandern kann, gibt es seit 20 Jahren.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Das ist schwer zu sagen. Wir haben Gewässer renaturiert, dabei wird die Lauflänge verlängert. An der Berkel in Nordrhein-Westfalen haben wir das vor vielen Jahren gemacht. Das hat natürlich auch Auswirkungen im Rahmen des Klimawandels. Wenn stärkere Niederschläge kommen und das Gewässer länger ist und mehr Wasser aufnehmen kann, dann wird die Hochwasserwelle verlangsamt. Aber das sehe ich eher als nachrangig an.

In der Branche, in der ich gearbeitet habe, macht man häufig etwas in einem Gebiet und kommt dann 30 Jahre nicht wieder hin. Da fehlt dann die Kontinuität, um zu sehen, was passiert. Die ersten Moore haben wir in der Ohligser Heide vernässt. Und dieses Gebiet zum Beispiel hat sich positiv entwickelt. Dort wurde eine Biologische Station gegründet, es wurde eine Schafherde angeschafft, es wurden Maßnahmen durchgeführt. Was da in den letzten 30 Jahren passiert ist, haben wir damals mit dem Rheinisch-Bergischen Naturschutzverein und mit dem ersten Pflege- und Entwicklungsplan angestoßen. Dass so ein Naturschutzgebiet, das am Anfang zwei Hektar Offenland mit ein bisschen Pfeifengras hatte, jetzt 20 Hektar Heideflächen hat, die Moorflächen renaturiert sind und die Kiefern herausgeschlagen wurden, kann man schon als Erfolg bezeichnen.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Am besten gelungen ist diese Integration beim Schutz der noch naturnahen Moore, weil dort kein anderes Nutzungsinteresse bestand. Die Moore sind gesetzlich geschützte Lebensräume. Da wachsen Torfmoose, Wollgras oder Pfeifengras, und die fünf Prozent Moorböden, die noch eine natürliche oder naturnahe Vegetation haben, sind vergleichsweise gut geschützt. Aber auf den 95 Prozent Moorböden, die landwirtschaftlich intensiv genutzt werden, klappt es überhaupt nicht. Die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein fängt an, z.B. im Grootmoor oder Offenbütteler Moor die ersten kleinen Grünländer, immerhin 200 Hektar, aus der Nutzung herauszunehmen. Aber auf das ganze Land oder auf das Bundesgebiet gesehen sind von einer Million Hektar Moorböden vielleicht noch vier oder fünf Prozent in naturnahem Zustand, und die anderen 95 Prozent sind in einem naturfernen, stark klimabelastenden Zustand. Da gibt es jetzt aber Geld für Maßnahmen, insgesamt vier Milliarden vom Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

Im Verkehr und Bauwesen, wo wirklich viele Treibhausgase produziert werden, hat es bisher wenig bewirkt. Auch in der Industrie und im Flugverkehr. Wir haben keine Kerosin-Steuer, wir haben keine vernünftige CO2-Abgabe auf Autoverkehr, auf Kraftstoffe. Der ganze Import von fossilen Brennstoffen für die chemische Industrie ist nicht geregelt. Wenn ich Plastik in Form von Flaschen oder Tüten aus Erdöl herstelle, geht das hinterher in die thermische Verwertung und wird verbrannt. Der ganze Import von Erdöl in die chemische Industrie wird nicht mit einer Treibhausgasabgabe belastet.

Auch der Bereich Landwirtschaft, die Stickstoffdüngung, die Lachgas, ein starkes, viel schlimmeres Treibhausgas als CO2, produziert, ist klimatechnisch kaum reguliert. Massentierhaltung, Überdüngung – da ist noch viel Regelungsbedarf.

Johan Rockström guckt auf die planetaren Grenzen, indem er fragt: Wo kann unser Planet noch was ab? Die stärkste Überschreitung ist nicht beim Klima gegeben, sondern bei den Nährstoffkreisläufen durch die flächendeckende Überdüngung des Planeten mit Stickstoff und Phosphor. Jeder Hundehalter weiß, wenn der Hund fünfmal auf dieselbe Stelle des Rasens gepinkelt hat, wächst da kein Gras mehr, sondern nur noch Brennnesseln. Überdüngung spielt jedoch überhaupt keine Rolle in der politischen Diskussion.

Die Überfischung der Meere, die flächendeckende Vergiftung der Landschaft durch die chemische Industrie sind ebenfalls klimawirksam. Die Herstellung der Pestizide und des Kunstdüngers sind wahnsinnig energieaufwendig. Da wird überwiegend weggeguckt.

Jetzt baut man Windräder. Die Story dahinter: „Jedes Elektron, das aus der Steckdose fällt, ist grün, und die Welt ist gerettet.“ Aber der Strom macht nur 16 oder 18 Prozent des Primärenergieverbrauchs aus. Die restlichen 80 Prozent sind Wärme und Transport. Da kommen wir auch mit ein paar Windrädern nicht weiter. Eine ehrliche Diskussion über Verzicht, die notwendig wäre, führt keiner, weil keiner verzichten will. Es muss ja immer höher, größer, schneller, weiter gehen.

Man merkt es an sich selber. Man hat in unseren Kreisen in vielen Fällen relativ viel Geld. Man ist älter, hat eine gute Ausbildung, und irgendwann hat man es geschafft und kann sich über den relativen Wohlstand viel mehr klimaschädliche Sachen leisten als jemand, der kein Geld hat. Wir wohnen hier auf dem Land, fahren zwei Autos, zur Arbeit sind es locker 15 Kilometer. Ärmere Personen, die kein Auto haben und im Bus zur Arbeit oder zum Einkaufen fahren, können gar nicht so viele Treibhausgase produzieren wie wir. Denen fehlt schlichtweg das Geld dafür. Und „wir“ denken, wir sind die gebildeten Akademiker und wissen, wo es lang geht. Aber im Endeffekt sind wir keinen Deut besser als die anderen.

Gibt es, wenn du auf einzelne Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Nein. Bei den Naturschutzgutachten, die wir gemacht haben, ging es immer um die Erhaltung von Kulturlandschaften oder ähnliches. Das hätte keine großen Auswirkungen gehabt. Bei den Mooren sollte es sowieso immer nasser werden. Auch bei den Maßnahmen im Wald hat man gesagt: „Entwässerungsgräben zu und wachsen lassen.“ Wenn man mit einem gesunden ökologischen Grundverständnis herangeht und Maßnahmen für bestimmte Lebensräume vorschlägt, verstärken die meistens auch die Resilienz gegenüber dem Klimawandel. Daher wüsste ich nicht, was wir hätten anders machen können.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur- und Klimaschutz?

Wir können ganz viele Synergien über den Klimaschutz transportieren. Wir haben eine Landschaft, die in vielen Fällen so tot ist, dass es egal ist, ob ich auf noch zwei weitere Prozent der Fläche Windräder stelle oder nicht. Das schreddert auch noch den einen oder anderen Schreiadler. Aber er wäre vermutlich in einigen Jahren auch ohne Windräder weg, weil er nichts mehr zu fressen findet, wir ihn vergiften oder seine Wälder abholzen. Wenn wir die Klimafolgenanpassung ernst nehmen und uns auf die klimasensiblen Bereiche konzentrieren, haben wir auf der einen Seite mit Hochwasser zu tun, also mit Starkniederschlagsereignissen, siehe Ahrtal. Wenn wir unseren Flüssen mehr Raum zum Überschwemmen und zur eigendynamischen Entwicklung geben, dann schaffen wir, ohne dass wir groß etwas machen müssen, viele neue Lebensräume, die sich positiv auf die Artenvielfalt auswirken werden. Also einfach kein Ackerbau mehr zwischen den Deichen, die Deiche ein bisschen zurücknehmen und zwischen den Deichen in den HQ100 Räumen – das sind die Räume die alle hundert Jahre Gefahr laufen, vom Hochwasser überschwemmt zu werden – alle Nutzungen ohne Pestizide und ohne Dünger zulassen. Schafe, Rinder oder Ziegen, Gras schneiden und Heu gewinnen sind erlaubt, aber keine Gülle und keine Pestizide ausbringen. Dann würden wir in den Auen sehr schnell wertvolle Strukturen wie extensive Kulturlandschaft oder Wildnis bekommen. Wir haben durch die Fließgewässer von der Quelle bis zur Mündung ins Meer ein durchgehendes Biotopverbundsystem. In diesem Bereich kann man ganz große Synergien von Klimafolgenanpassung und Naturschutz nutzen. Wir würden zudem die Hochwasserschäden in tiefer gelegenen Städten, also Lauenburg, Kellinghusen an der Stör, Düsseldorf oder Köln massiv verringern. Da könnte ich mir eine Zusammenarbeit zwischen Versicherungswirtschaft und Naturschutz sehr gut vorstellen, weil es ausgemachter volkswirtschaftlicher Schwachsinn ist, dass zehn landwirtschaftliche Betriebe mit 1.000 Hektar nicht enteignet werden, um die Fläche zurückzudeichen. In Lenzen an der Elbe wurde gezeigt, wie erfolgreiche Rückdeichung aussehen kann. Intensivlandwirtschaft in Auen mit intensivem Maisanbau für Biogasanlagen belasten Fließgewässer und führen zu Vertragsverletzungsverfahren bei Wasserrahmenrichtlinie und Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie. Hier fehlt der Gesellschaft der Mut, das konsequent anzugehen. Im ganzen Hochwasserbereich könnten wir sehr schnell auf vielen tausend Hektar etwas bewirken, was volkswirtschaftlich gesehen sinnvoll wäre. Meiner Meinung nach können wir, wenn die Landwirtschaft ´raus ist und der Fluss mehr Entwicklung bekommt, alle Auen als touristische Entwicklungsräume freigeben. Es wäre egal, ob da gepaddelt, gerudert, geangelt wird, weil wir dann so viele Flüsse hätten. So viel wollen die Leute gar nicht draußen ´rumlaufen, weil sie lieber Netflix gucken.

Der zweite Punkt ist der Klimaschutz mit den Mooren. Wenn wir es wirklich schaffen, von den eine Million Hektar Moorböden, die zu 90 Prozent kaputt sind, nur die Hälfte für den Naturschutz wiederzuvernässen, mit extensiver Beweidung für Wiesenvögel, extensiver Grünlandnutzung oder ganz aus der Nutzung genommen, hätten wir 400.000 Hektar, also 4.000 Quadratkilometer in Deutschland verteilt, wo sich auch Rückzugsräume für Tiere und Pflanzen bilden würden.

Man kann diese Entwicklung jedoch nur schlecht nachvollziehen, weil man kaum noch in das Zentrum eines vernässten Moores kommt. Daher weiß fast kein Mensch, was jetzt im Zentrum z.B. des Offenbütteler Moor passiert. Wir sehen vom Rand aus Schilf und die Weiden wachsen. Was sich jedoch an vielen kleinen Lebensräumen im Zentrum entwickelt, wo die Libellen sind, wo die Kreuzotter, wo der Moorfrosch ist, wo der Kranich wohnt, bekommen wir von außen nicht richtig mit, weil die Gebiete weitgehend unzugänglich sind. Also Moor-Wiedervernässung ist ein wichtiger Punkt.

Außerdem müssen wir uns in der Klimafolgenanpassung auf die stärker werdenden Dürren einstellen. Wenn ich jetzt durch Schleswig-Holstein fahre, sehe ich die Blänken auf dem Acker. Die Bauern merken sich das, und sobald der Regen weg ist, erneuern sie dort die Drainage. Dann regnet es vier Wochen nicht und dann fangen sie an zu jammern: „Unser Mais läuft nicht auf. Wir haben kein Wasser im Boden. Es ist alles zu trocken.“ Da muss man doch ganz klar sagen: Wer so blöde ist, dass er im Winter die Niederschläge schnell in die Nordsee abführt, der hat jegliches Anrecht verloren, im Sommer darüber zu motzen, dass es zu trocken ist.

Da ist die Politik nicht weit genug. Die Reaktivierung der Feuchtgebiete könnte automatisch mit einer Nutzungsextensivierung zusammengehen. Dadurch würden wir in der Landschaft ganz viele Senken schaffen, wo das Wasser versickern kann, wo wieder Dauergrünland wäre, wo wieder Kiebitze und Frösche leben könnten. Da sehe ich wirklich Möglichkeiten. Und ich sehe einen großen Bedarf an der Ökologisierung der Landwirtschaft, also weniger Intensivlandwirtschaft mit Kunstdünger und weniger Fleisch essen. Ich werde nicht Vegetarier werden, aber wir können schon über steuerliche Maßnahmen, über Förderung von Biolandbau dazu beitragen, dass man nur noch zweimal die Woche ein Schnitzel isst und nicht jeden Tag angefangen morgens mit der Kalbsleberwurst über die Gänseleberpastete bis hin zum Kassler am Abend 300 Gramm Fleisch in sich ´reinstopft. Gezielt qualitativ hochwertiges, ökologisch und regional produziertes Fleisch zu konsumieren, finde ich total klasse. Damit könnte man viel erreichen.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Ich halte das alles für realistisch und es gibt keine Alternative, wenn es nicht völlig gegen die Wand fahren soll.

Das Hauptproblem besteht durch Populismus, der wissenschaftlich fundierte Fakten ignoriert, ein Beispiel hierfür ist die Verkehrspolitik der FDP. Den Grünen ist inzwischen die Problematik klar, aber sie wollen wiedergewählt werden und haben daher berechtigterweise auch große Angst vor konsequenter Politik. Die Angriffe in den sozialen Medien zeigen ja, dass die Mehrheiten anscheinend woanders sind. Sie haben den Klimawandel als hauptsächliches politisches Betätigungsfeld aufgebaut. Jetzt kam der Ukraine-Krieg und sie haben die Kohlekraftwerke länger laufen lassen. Deshalb ist der CO2-Ausstoß in den letzten beiden Jahren gestiegen und nicht gefallen. Die ganzen vereinbarten Treibhausgas-Minderungsziele stehen auf der Kippe. Sie müssen befürchten, dass es im Wahlkampf in zwei Jahren um das Wiederaufleben der Atomenergie und um CCS (Carbon Capture and Storage) geht, wenn sie es jetzt nicht schaffen, genug Windräder und Solaranlagen zu bauen.

Sollten wir noch einmal eine CDU/FDP Regierung bekommen, dann kann ich mir vorstellen, dass wir den Niedergang bei Klimaschutz und Naturschutz noch beschleunigen.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Die Politik muss wissenschaftsbasiert laufen. Wir haben ein Umweltbundesamt und das Bundesamt für Naturschutz. Wir haben wirklich sehr gute Fachbehörden, die dicke Gutachten schreiben, zum Beispiel 1989 „Sonderprobleme der Landwirtschaft“ vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. Das haben sie 30 Jahre später wiederholt, und die Probleme sind eigentlich alle größer geworden. Nichts von dem, was wir vor 30 Jahren vorgeschlagen haben, wurde auch nur annäherungsweise umgesetzt. Unser politisches System führt dazu, dass ein bestimmter Menschenschlag an eine Spitzenposition kommt. Das sind hochintelligente Leute, aber ohne Fachkompetenz, die sehr schnell auf Stimmungen reagieren können, die rhetorisch sehr gut sind und die ein ausgeprägtes Eigeninteresse haben. Bei einigen spielt Gemeinwohl eine Rolle, aber bei den meisten steht Eigenwohl im Vordergrund: Wie komme ich weiter? Wie werde ich als Staatssekretär Minister? Wie werde ich als Minister Kanzler? Wie kann ich aus der Landesregierung auf die Bundesebene kommen?

Ich weiß nicht, wie man das ändern kann. Die CDU, die SPD und die FDP besetzen in ihren Ministerien die Stellen mit ihren Leuten, weil die Verwaltung sagt: „Was schert es mich, wer unter mir Minister ist. Der ist in vier Jahren wieder weg, während ich noch 20 Jahre auf dem Posten bleibe.“

Ich bin Parteimitglied bei den Grünen. Die haben es im Moment schwer, eine vernünftige Personalpolitik zu machen, weil sie keine Leute haben. Sie sind schnell gewachsen und haben auf einmal 15 Prozent und sitzen plötzlich in vier Ministerien. Das Bundeslandwirt­schaftsministerium z.B. wurde in den letzten 50 Jahren komplett CDU-durchseucht. Man musste aus dem Bauernverband kommen und aus einem konventionellen Massentier­haltungsbetrieb, um da etwas zu werden. Julia Klöckner ist das perfekte Beispiel dafür.

Jetzt wurde Cem Özdemir, der vermutlich lieber Außenminister geworden wäre, Landwirtschaftsminister. Er muss jetzt versuchen, zum Teil gegen seinen Verwaltungsapparat, „grüne“ Landwirtschaftspolitik umzusetzen. Auch wird es kaum gelingen, in vier Jahren an den Schlüsselpositionen der Verwaltung „grüne“ Leute hineinzubringen. In vier Jahren, wenn er eventuell nicht mehr Minister ist, kann dann die immer noch mehrheitlich konservative Verwaltung die bisherige Landwirtschaftspolitik mit Förderung der Intensiv­landwirtschaft fortsetzen.

Ein Problem in unserer Demokratie ist die kaum stattfindende Regulierung der starken Lobbymächte. Da braucht man sich nur die Grüne Woche in Berlin angucken: Ich war auf der Agrarwende-Demo mit 10.000 anderen, die für ökologische Tierhaltung demonstrierten. Gleichzeitig sitzen 20.000 Leute in der Messehalle und machen sich Gedanken, wie sie ihre Pestizide weiter verbreiten können und noch mehr Kunstdünger herstellen können.

Das Schärfste ist, dass es heißt: Der Landwirtschaft geht es so schlecht wegen des Ukraine-Kriegs. Die Statistiken zeigen aber, dass die Landwirte noch nie so viel Geld verdient haben wie 2022. Die Rohstoffpreise wie Düngerpreise usw. sind zwar gestiegen, aber die Erzeugerpreise sind noch viel mehr gestiegen. Und dann gibt das grüne Ministerium noch Zuschüsse für Stickstoffdünger. Da läuft ganz viel schief. Deswegen brauchen wir eine Politik, die wissensbasiert und nicht wählerstimmenbasiert arbeitet und die nicht guckt, wie sie in der Öffentlichkeit ankommt und ob sie bei Instagram gehypt wird. Die sozialen Medien haben meiner Meinung nach zu viel Einfluss.

Und dann vielleicht noch das: Die Mitarbeit in Parteien, so viel Negatives man auch über diese Institutionen sagen kann, wird von den Naturschützern massiv vernachlässigt. Die Naturschützer haben eine große Scheu, sich politisch zu engagieren, weil „Politik ein Kartentrickgeschäft und nur was für karrieregeile Arschlöcher ist“, und man gehört ja zu den Guten. Will ich zu den Guten gehören und aufrecht untergehen, oder will ich nicht wenigstens noch versuchen, ein Rettungsboot aufzublasen? Gerade aus dem Naturschutz sollten sich Leute mit Sachverstand stärker in den politischen Parteien einbringen. Alle anderen Interessengruppen – Landwirtschaft, Juristerei, Industrie, Wirtschaft, Kirchen – sitzen regelmäßig bei den Politikern und sorgen dafür, dass ihre Belange im Vorfeld der Gesetze berücksichtigt werden. Nur viele Naturschützer sind sich zu edel, zu fein, zu schade dafür. Hinterher beschweren sie sich, wenn wieder mal ein Gesetz gemacht wurde, das ihre Belange nicht berücksichtigt. Da sehe ich ein ganz großes Manko des Naturschutzes.

Es tut mir leid, nicht nur um meine Kinder, die zukünftig nach uns aufräumen müssen und die Folgen unserer Versäumnisse ertragen müssen.