Stiftung Naturschutz

„Eine realistische Utopie“

Interview mit Dr. Walter Hemmerling am 29.07.2022 in Schellhorn

Vita

Schon als kleiner Junge habe ich die Blumen im Steinbeet meiner Mutter mit kleinen Schildern beschriftet, aber eher aus dem Interesse heraus, Dinge zu sortieren und nicht aus biologischer Leidenschaft. In der Schulzeit wurde das Interesse an Politik dominant. 1978 habe ich in Hamburg angefangen auf höheres Lehramt zu studieren. Politik war mein Schwerpunkt, Biologie als zweites Fach eigentlich nur, weil absehbar war, dass die Ökologie ein Schwerpunktthema der Zukunft werden wird. Nach der ersten Lehrprobe wurde mir schlagartig deutlich, dass ich mich in Schule und Lehrerberuf nicht wohlfühlen werde und habe dann Biologie auf Diplom studiert. Im Hauptstudium habe ich mich mit der artenreichsten Organismengruppe, den Insekten, beschäftigt und in dem Gebiet auch meine Dissertation geschrieben. Während der Promotion habe ich freiberuflich als Gutachter eine kleine Firma aufgebaut, für Landschaftspläne und Schutzgebietsgutachten im norddeutschen Raum.

Meine universitäre Arbeitsgruppe bekam dann vom damaligen Landesamt für Naturschutz und Landschaftspflege (LN) den Auftrag, die Entwicklung des Naturschutzgebiets Haseldorfer Binnenelbe mit Elbvorland wissenschaftlich zu begleiten. Diesem Auftrag folgte ein zweiter, in dem ich als Projektbetreuer den gesamten Unterelberaum bearbeitet habe. 1993 wurde mir eine befristete Stelle als Dezernent für Tierökologie im LN angeboten. 1997, also vor 26 Jahren, bin ich als Geschäftsführer zur Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein gegangen, der heute größten Naturschutzstiftung Deutschlands.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst? Wann war das?

Es fing an im Studium, also erst relativ spät für einen normalen Naturschützer, mit der Wahl des Studienfachs Biologie. Beeinflusst haben mich mehrere Menschen, maßgeblich während des Studiums Teja Tscharntke, heute Professor für Ökologie in Göttingen, dann Hans-Joachim Augst, damals Dezernent im LN, und auch Volkher Looft, der schon sehr früh mit seiner AG „Rettet die Feuchtgebiete“ auf den Schwund dieser speziellen Lebensräume aufmerksam machte und die großflächige Renaturierung forderte. Sehr, sehr dankbar bin ich Henning Thiessen und Hans-Joachim Augst, die, als meine befristete Stelle im LN auslief, beide ihre Stellen spontan auf zwei Drittel reduzierten, sodass sich eine weitere Zweidrittelstelle für mich ergab. Das war auch privat ein großes Glück, weil ich damals dadurch mehr Zeit für mein erstes Kind hatte.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, Institutionen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Was waren die Aufgaben deiner Wirkungsstätten? Was hast du dort konkret gemacht?

Hauptamtlich bei der Stiftung Naturschutz und vorher im Landesamt. Ehrenamtlich – und das unterscheidet mich sicherlich von vielen Naturschützern – eigentlich gar nicht. Aber auch das Hauptamt hat ja ehrenamtliche Komponenten. Wenn ich die Überstunden mitzähle, dann ist da auch viel ehrenamtliches Engagement dabei. Inhaltlich ging es eigentlich immer darum, Flächen zu renaturieren und die Umwelt zu schützen, sowohl im Landesamt als auch in der Stiftung. Neu war die Idee für ein Biotopverbundsystem, das im LN entwickelt wurde und viel Aufbauarbeit verlangte. In der Stiftung kamen die wirtschaftlichen Aspekte dazu: Projektfinanzierung, Kauf- und Pachtpreise, Jahresabschlüsse, Controlling, Personal, kaufmännische Buchführung.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Ich hatte das Privileg, mehrere Programme mitentwickeln zu dürfen. Dazu gehören das Eider-Treene-Sorge-Programm Anfang der 1990er-Jahre, das Niedermoorprogramm 2002, das Programm zum Schutz der Moore 2011 und vor allem das Programm zum Biologischen Klimaschutz seit 2020. Dabei ging es in erster Linie um Naturschutz, im Nachhinein kann ich feststellen, dass der Klimaschutzgedanke aber immer mehr Einfluss gewonnen hat.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Für mich sehr prägend war die Diskussion um den aus Amerika kommenden Begriff Biodiversity, der den Erhalt der biologischen Vielfalt zum politischen Thema gemacht hat. Das war in den 1980er-Jahren und hatte mich auch da schon erreicht. E.O. Wilson hatte die Biodiversität als neues Motto für den Naturschutz eingeführt. Er brachte auf den Punkt, was vorher sperrig Landschaftspflege oder Landschaftsentwicklung hieß. Mit Biodiversität hat man aber nur recht wenige Menschen erreicht. Daher stellte sich die Frage: Wie können wir Naturschutz stärker in Wert setzen, um mehr Menschen zu begeistern. Das brachte seit ungefähr 2000 die Idee der Ökosystemleistung hervor. Hier kommt auch der Klimawandel ins Spiel, weil die Bindung von CO2 in Flächen als Ökosystemleistung auf einmal einen Namen gefunden hat, der die Biodiversität gut ergänzte. Das ist die Geschichte und die konnte ich so miterleben.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen? Und warum?

Das war sicherlich der Aufbau der Stiftung Naturschutz – eine Erfolgsgeschichte. Wir haben eine Stiftungsfamilie aufgebaut, angefangen mit einer Mitarbeiterzahl von zwei, heute sind wir 120. An Flächen hatten wir anfangs 10.000 Hektar, mittlerweile sind es 38.000. Deutschlandweit sind wir die größte Naturschutzstiftung.

Wann ist dir der Begriff „Klimaschutz“ zum ersten Mal begegnet?

Das war sehr früh, etwa 1980 mit Beginn des Studiums. Jimmy Carter, der damalige Präsident der USA, hatte „Global 2000“ in Auftrag gegeben, um die globalen Probleme zu erfassen. Die von Carter beauftragten Wissenschaftler haben damals schon beschrieben, dass es um Klimaschutz und Biodiversität geht. Seitdem hat mich das nicht mehr losgelassen.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv mit einbezogen? Wo und wann ist dir das mit welchen Maßnahmen gelungen?

Ja, mit der Vernässung der Moore. Aber das lief eben unter Naturschutz und nicht unter Klimaschutz, war aber Klimaschutz pur. Wie auch die Bildung von Wäldern, Neuwäldern, halboffenen Weidelandschaften als Humusspeicher, gerade dann, wenn sie aus Acker­landschaften herauswachsen. Das waren immer schon unsere Themen und das sind ja auch die drei Standbeine, auf denen der Biologische Klimaschutz heute in der modernen Form steht. Der entscheidende Faktor in Schleswig-Holstein ist das Moor. Man kann das noch ergänzen um Seegraswiesen und Salzwiesen, Aufforstung, Grünlandbildung aus Acker heraus, aber der quantitativ entscheidende Punkt ist das Moor. Entwässerte Moore sind mit 15 bis 20 Prozent an der Emission der Treibhausgase beteiligt. Das ist eine relevante Größe, ungefähr so viel wie der Anteil des gesamten Straßenverkehrs in Schleswig-Holstein.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Das ist eine ganz spannende Frage und schwer zu erfassen. Wenn man sich fragt, welches Leitbild einen prägt, kann man natürlich leicht sagen: Klimaschutz war schon immer mein Thema. Aber ich habe mal nachgelesen: In der Eider-Treene-Sorge-Broschüre aus den 1990er-Jahren war der Klimagedanke noch nicht so deutlich formuliert, klang aber schon mit. Vordringliche Ziele waren für uns der Arten- und der Bodenschutz, speziell der Moorbodenschutz. Es ging darum, den Boden zu erhalten und Nährstoffe zu binden. Die CO2-Bindung, um Treibhausgaskonzentrationen abzumildern, ist als Thema erst wesentlich später aufgekommen. Ich meine sogar erst 2010. Die Maßnahmen, die wir damals zum Bodenschutz eingesetzt haben, kann man heute aber als Maßnahmen für den Klimaschutz bezeichnen.

Schwerpunkt war dabei die Eider-Treene-Sorge-Region, das ist die moorreichste Gegend in Schleswig-Holstein. Um in den Moorböden die Erosion an Torf zu reduzieren, mussten wir vernässen. Wir haben Gräben zugeschüttet und größere Planungen umgesetzt. Das war so gesehen schon ein Beitrag zum Klimaschutz. Aber wie viele Tonnen CO2 wir da speichern, wussten wir damals noch nicht. Es gab dann eine wissenschaftliche Entwicklung in der Ökosystemforschung. Die Universität Greifswald mit den Professoren Michael Succow und Hans Joosten hat nach der Wende dazu die Grundlagen erarbeitet und damit auch die Bedeutung der Klimafrage erfasst. 2019 gab es dann Fridays for Future und erst dann wurde die klimapolitische Bedeutung der Moore so richtig herausgearbeitet. Es gab schon Vorläufer, zum Beispiel die Landesamtbroschüre über „Moore in Schleswig-Holstein“ 2015, in der das Thema aufgearbeitet wurde. Aber die politische Bedeutung, das Gewicht, ist erst später klar geworden. Wir haben dann den Begriff „Biologischer Klimaschutz“ definiert, den Minister Jan Philipp Albrecht erstmals beim Landesnaturschutztag 2019 in den Mund genommen hat. Und heute ist das ein richtig großes Thema geworden. Für den Natürlichen Klimaschutz – so nennt es die Bundesregierung – werden Investitionsmittel freigesetzt, die der Naturschutz so noch nicht gesehen hat. Aus Naturschutzsicht ist die Ökosystemstrategie voll aufgegangen. Ob man den Klimawandel wirklich begrenzen kann, das ist noch eine andere Frage.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Entscheidend war, dass im Bereich der Moore, Wälder und Weidelandschaften Artenschutz und CO2-Speicherung gut zusammenpassen. Stichworte sind Renaturierung von Mooren, naturnahe Wälder und extensive wilde Weiden.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? – Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

Es gibt Maßnahmen im Naturschutz, die nicht klimaschutzorientiert sind, überwiegend in trockenen Bereichen. Für die Binnendünenbildung, zum Beispiel Holmer Sandberge, holzen wir manchmal Wälder ab. Da spielt der Biotopschutz die zentrale Rolle, der Klimaschutz kommt nicht vor, die Maßnahme ist eher kontraproduktiv für den Klimaschutz. Man muss die Grenzen finden: Biodiversität hat eine eigene Bedeutung und das ist nicht immer gleich Klimaschutz. Es findet sich aber oft eine große Schnittmenge.

Deutlich wird das auch beim Wiesenvogelschutz, den man viel in Mooren, hauptsächlich Niedermooren macht. Die Wiesenvögel brauchen aber unbedingt eine landwirtschaftliche Nutzung, um die Flächen offen zu halten. Die Flächen dürfen also nicht unter Wasser stehen, denn dann ist es schwer, den Trecker einzusetzen. Man bekommt das daher nicht klimaoptimiert vernässt, sondern nur ein bisschen. Man hat damit nicht den 100-prozentigen Klimaeffekt, sondern nur einen 80- oder 70-prozentigen.

Im Bereich der Wiesenvögel gibt es viele Diskussionen, denn das Thema hat eine ziemliche Bedeutung im Naturschutz. In vielen Natura 2000-Gebieten ist der Wiesenvogelschutz in den Managementplänen festgelegt, also verbindlich. Das verträgt sich nicht immer mit der Moorrenaturierung aus Klimaschutzgründen.

Gibt es, wenn du auf die einzelnen Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Ja, mit Sicherheit. Man darf den Wiesenvogelschutz nicht so stark betonen, das war ein Fehler. Und dann gibt es den Konflikt mit der Landwirtschaft. In der Eider-Treene-Sorge-Niederung, wo ich als Landesamtsdezernent gearbeitet habe, haben wir damals die Diskussion geführt, welche Gebiete Vorrangflächen für den Naturschutz werden und welche nicht. Die Landwirte haben um ihrer Produktion willen bestimmte Kriterien – das ist auch nachvollziehbar. Aber auch der Klimaschutz hat Kriterien, nur hat man das damals nicht genug reflektiert, weil das Biodiversität-Thema viel bedeutender war, und man in dem Bereich flexibler war: Wenn man Flächen nicht vernässen durfte wegen der Landwirte, dann ging man eben woanders hin. Aus Klimaschutzgründen darf man das aber eigentlich nicht so machen. Das Problem holt uns heute ganz massiv ein. Es geht dann darum, dass man Schöpfwerke anders einstellt, also nicht so tief abpumpt. Und das kannst du nur, wenn du auch den Zugriff auf die Flächen hast. Handelt es sich um Stiftungsflächen, dann geht das. Sind es private Flächen, geht es nicht. Und wenn du vereinbart hast, dass die niedrig liegenden Flächen privat bleiben, kommst du keinen Schritt weiter.

Man hätte also rigoroser an seinen Zielen festhalten und dafür sorgen müssen, dass die Privaten weichen?

Rigoroser – das ist leicht gesagt. Es handelt sich ja um ein sehr feinsinniges, politisches System. Die Zielstellung hätte eine andere sein müssen, man hätte klarer auf Klimaschutz fokussieren müssen. Damals in den 1980er-, 1990er-Jahren hätte man dann anders verhandeln können. Aber ich kann ja nur das heraushandeln, was ich weiß. Wenn ich für die Vielfalt etwas machen will, dann komme ich eventuell zu anderen Ergebnissen, als wenn ich etwas für das Klima tun möchte. Und wenn das Klimaschutzthema noch gar keines ist, dann kann ich es auch nicht verhandeln. Erst wenn ich das Problem kenne, kann ich an der richtigen Lösung arbeiten. Sonst ist das eben Beifang. Dann klappt es manchmal – und wir haben Glück, weil wir Moore vernässen. Man hätte ja auch aus Biodiversitätsgründen zu der Erkenntnis kommen können, dass man Moore besser entwässert. Dann hätten wir jetzt ein Riesenproblem. Hier läuft es also glücklich zusammen. Aber in der anderen Frage der verfügbaren Flächen eben nicht, und das holt uns wirklich ein, das steht heute ganz oben auf der Agenda.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur- und Klimaschutz?

Das muss man regional sehen, und in Schleswig-Holstein ist es relativ simpel, damit umzugehen. Wir haben viele Moore, und die gehören nass. Wenn wir klimaneutral werden wollen, müssen wir diese Emissionsquelle schließen. Bisher fällt uns nichts Besseres ein, als sie zu vernässen. Wenn es irgendwann mal andere Methoden geben sollte – obwohl mir die Fantasie dafür fehlt – sollte man da sicherlich offen sein. Für den dringend erforderlichen Klimaschutz erheben Politik und Gesellschaft einen Anspruch: 150.000 Hektar Moore, so viel haben wir in Schleswig-Holstein, das sind zehn Prozent des Landes, sollen wiedervernässt werden. Die Stiftung hat 30.000 davon im Besitz. Das heißt, weitere 120.000 Hektar Flächen sollten noch für den Klimaschutz entwickelt werden. Damit könnte man auch die Biodiversität massiv befördern. Für die Gesellschaft eine historische Chance, für mich ist es eine realistische Utopie.

Die Aufgabe bleibt nur dann finanzierbar, wenn die ganze Gesellschaft dahintersteht, also Politik und Zivilgesellschaft. Wir haben dafür in Schleswig-Holstein den „Biologischen Klimaschutz“ entwickelt, der auf nationaler Ebene als „Natürlicher Klimaschutz“ milliardenschwere Programme auslöst. In diesem Zusammenhang kommt der Begriff Ökosystemleistung ins Spiel, hinter dem sich verbirgt, dass beispielsweise eine renaturierte Moorfläche neben reinem Artenschutz und Naherholung auch in erheblichem Umfang Klimaschutz bietet. Diese Tatsache und dass wir Menschen existenziell davon abhängen, den Herausforderungen des Klimawandels erfolgreich zu begegnen, müssen wir unbedingt stärker in die Öffentlichkeit bringen.

Wir diskutieren ja auch im Rahmen des „Dialoges für die Zukunft der Landwirtschaft“. Ich habe mit Klaus-Peter Lucht, heute Präsident des Bauernverbands, eine gemeinsame Position entwickelt, also Bauernverband und Stiftung Naturschutz zusammen. Da heißt es erstens: Die Moore müssen nass, und zwar großräumig. Zweitens: Es sind ganz viele Bauern betroffen, die ihr Geld dort verdienen, also zum Beispiel Milch produzieren. Wir können nicht so tun, als wäre das kein Problem. Da geht es um finanzielle Kompensation. Und drittens: Es handelt sich um ein komplexes Thema, das viele gesellschaftliche Belange wie Infrastruktur und Wasserwirtschaft betrifft. Herausgekommen ist ein gemeinsames Statement, das Zukunft hat. Aber es ist nicht von heute auf morgen umgesetzt.

Ja, und natürlich gibt es Grenzen, siehe Trockenbiotope und Artenschutzfrage. Außerdem führen wir heftige Debatten, an welchen Standorten die regenerative Energie installiert werden soll. Wir als Stiftung Naturschutz haben ja nicht nur Freunde und es gibt Stimmen, die fordern, dass wir solche Anlagen auf unseren Flächen bauen. Damit tust du nicht per se etwas für die Vielfalt. Erst mal ist so eine Anlage ein Eingriff und damit ein Konflikt. Auf unseren Flächen wollen wir das nicht. Wir könnten uns eher vorstellen, dass solche Anlagen auf bisher entwässerten, naturschutzfachlich uninteressanten Moorböden installiert werden, allerdings muss die Installation zwingend mit einer gleichzeitigen Wiedervernässung einhergehen. Damit entstünde sogar ein doppelter Nutzen für den Klimaschutz.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Wenn man erst will, dann kann man auch!

Welche Fehler dürfen dabei auf keinen Fall gemacht werden?

Dass man die Komplexität dieser Aufgabe unterschätzt. Man darf nicht nur nach einfachen Lösungen suchen. Die Widerstände sind riesengroß und da kann man schnell in Nicht-Aktivismus verfallen.

Momentan ist das Problem, an die Flächen heranzukommen. Man braucht eine operative Einheit, die das Ganze bewegt. Früher waren das die Flurbereinigungsverfahren, die die Landwirtschaft, aber auch den Naturschutz verbessert haben. Diese ganzen Einrichtungen hat man abgebaut. Jetzt fehlen uns diese Instrumente. Der Klimaschutz kommt zu kurz und Biodiversität kommt gar nicht mehr vor.

Wenn man das Thema Klimaschutz ernst nimmt, sollte man auf Professor Joosten hören: Deutschlandweit müssen wir 50.000 Hektar jährlich vernässen. In Schleswig-Holstein mit einem Zehntel der Moore bundesweit wären das 5.000 Hektar – ein unglaubliches Ziel! Mit der Landesregierung haben wir ausgemacht, dass wir bis 2030 8.000 Hektar neue Moorflächen renaturieren. Das steht aber nur auf dem Papier, um überhaupt mal dieses Ziel zu formulieren. Aber die Wirklichkeit sieht bisher anders aus: Der Bodenmarkt ist sehr fest, und wir kommen nur sehr schwer an Flächen heran.

Außerdem leiden wir unter Kapazitätsmangel. Die Universität baut Stellen ab, Freilandökologie wird kaum noch angeboten. Unter Professor Berndt Heydemann an der Universität Kiel gab es in den 1980er-Jahren mal einen Schwerpunkt Ökosystemforschung mit mehreren Stellen. Diese Professoren gehen jetzt alle in Rente. Die Folge ist, dass es keinen Nachwuchs mehr gibt, der sich mit diesen Themen auskennt. Das heißt, wir haben eine gewaltige gesellschaftliche Aufgabe und überhaupt keine Leute, die sich damit beschäftigen. Das ist ein Riesenthema. Um wenigstens ein bisschen gegenzuhalten, versuchen wir, eine Stiftungsprofessur einzurichten.

Die Stiftung Naturschutz betreibt seit Kurzem eine Klimafarm. Was steckt dahinter?

Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Unsere Landesregierung sagt: sogar bis 2040. Das heißt, Deutschland muss 1,8 Millionen Hektar entwässerte Moorböden wiedervernässen. Die Bundesregierung meint aber, dass man nicht einfach die Gräben zuschütten kann und dann guckt, was passiert. Man soll also tüfteln und Wege finden, wie man vielleicht auch eine Nassbewirtschaftung aufbaut. Dass man Moore zwar wiedervernässt und sie dadurch im positiven Sinne klimawirksam werden lässt, parallel jedoch eine Nutzung ermöglicht. Der Oberbegriff für die Nassbewirtschaftung ist Paludikultur, er wurde an der Universität Greifswald geprägt, Reisanbau ist ein klassisches Beispiel. Da ist vieles möglich: zum Beispiel Schilf anbauen für Dächer oder Rohrkolben als Dämmmaterial. Das ist in der Vergangenheit total vernachlässigt worden. Vernässtes Moor war bisher Unland, Ödland – langweilig. Doch auf den Flächen wächst ja etwas auf. Um zu erforschen, was man damit anfangen kann, hat die Bundesregierung viel Geld in den Raum gestellt: 50 Millionen Euro für vier oder fünf Modellprojekte in Deutschland. Die Stiftung Naturschutz hat sich beworben und mit dem Projekt Klimafarm überzeugen können. Es läuft über zehn Jahre, hat ein Volumen von 16 Millionen Euro. Sechs Stellen haben wir eingerichtet, die die Aufgabe haben, in der Eider-Treene-Sorge-Niederung zu vernässen und von den vernässten Flächen trotzdem zu ernten. Es geht darum, wie man Erntemethoden in der Nassbewirtschaftung optimiert und Herstellungsverfahren erprobt. Also zum Beispiel aus dem Mahdgut Graspapier herzustellen, weil weltweit immer mehr Verpackungsmaterial benötigt wird. Ein zweiter Weg wäre, Pflanzenkohle zu produzieren. Pflanzenkohle könnte die Basis für verschiedene Dinge sein, zum Beispiel in der Textilindustrie. Der dritte Weg ist die Durchführung von „Heckathons“: Wir wollen mit jungen Leuten, auch Absolventen der Fachhochschulen und Universitäten, zusammenkommen und tüfteln, was man noch alles aus dem Erntegut herstellen kann, um diese Rohstoffbasis stofflich noch besser zu erschließen. Das geht bis zur Herstellung von grünem Wasserstoff.

Letztendlich zählt die Bilanz. Beim Biologischen Klimaschutz muss man manchmal Abstriche machen im Grad der CO2-Bindung. Wir nennen es ja extra Biologischen Klimaschutz, um den Biodiversitätsgedanken mitzuführen. Und wenn die Wiesenvögel auf den Niedermoorflächen nur eine milde Entwässerung brauchen, macht man das eben so und erreicht immerhin 80 Prozent der möglichen Klimawirkung. Anders sieht es bei den Hochmooren aus, die man besser in Wildnis überführen kann, weil sie ganz schwer zu bewirtschaften sind. Da liegt ein Riesenpotenzial für mehr Wildnis in Deutschland. Aber jedes Moor ist letztendlich ein Individuum und dafür brauchen wir Fachleute, Kapazitäten, Kompetenzen.