Stiftung Naturschutz

„Wir brauchen Menschen, die für die Sache brennen“

Interview mit Ernst-Wilhelm Rabius am 10.03.2023 in Schellhorn

Vita

Ich bin am 13. Juli 1949 in dem kleinen, beschaulichen Dorf Eitzendorf in der Nähe von Verden an der Aller in Niedersachsen geboren. In Verden habe ich auf einem humanistischen Gymnasium 1968 mein Abitur gemacht. Nach zwei Jahren bei der Bundeswehr habe ich in Göttingen und Stuttgart-Hohenheim Agrarwissenschaften mit dem Schwerpunkt Pflanzenbau studiert. Anschließend war ich Referendar im Landwirtschaftsministerium Schleswig-Holstein, wurde dann in das Beamten­verhältnis übernommen und versah verschiedene Aufgaben im Ministerium. Von 1983 bis 1992 war ich Leiter des Landesamtes für Naturschutz und Landespflege, wie es damals hieß. Die letzten zwei Jahre, ab 1991, wurde ich allerdings nach Schwerin an das neu gegründete Umwelt­ministerium als Leiter der Abteilung Naturschutz abgeordnet. Nach der Abordnung übernahm ich die Leitung des Amtes für Land- und Wasserwirtschaft in Kiel, das nach einer Ämterreform in das Amt für Ländliche Räume überging. Nach dem Regierungs­wechsel 2005 wurde ich als Staatssekretär in das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt berufen. Das war ich bis 2012. Dann gab es wieder einen Regierungswechsel und ich wurde Pensionär.

Wann haben Sie begonnen, sich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat Sie beeinflusst? Wann war das?

Das war in der Zeit bei Minister Günter Flessner, dem ich vier Jahre als Persönlicher Referent und Pressereferent diente. Damals wurde erstmalig eine Abteilung Naturschutz gegründet. Der damalige Abteilungsleiter war Dr. Peter-Uwe Conrad. Damals war sehr viel im Aufbruch. Das Landschaftspflegegesetz, Vorläufer des Naturschutzgesetzes, und das erste Landesgesetz für Naturschutz in Deutschland, war gerade frisch verabschiedet und es war diese neue Abteilung gegründet worden. Es gab ziemliche Differenzen zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Flessner wurde z.B. von Bauern als "Vogel-Minister" bezeichnet. Auch die Gründung des Nationalparks fiel in diese Zeit. Flessner war Schirmherr für den Seeadlerschutz und hat sich sehr dafür eingesetzt. So bekam ich schon über ganz konkrete Projekte einen sehr guten Bezug, was auch das Interesse am amtlichen Naturschutz in mir weckte. Das war eine wichtige Aufgabe, die immer bedeutsamer wurde, und eine erste prägende Phase für mich. Mit erst 34 bekam ich das Amt als Leiter des Landesamtes übertragen. Das führte auch zu Konflikten. Es hieß: „Ein Landwirt als Leiter einer oberen Naturschutzbehörde, das geht eigentlich gar nicht.“ Anfangs war es nicht so einfach. Aber es war nachher doch eine sehr schöne und erfüllende Zeit.

Wo, wann und in welcher Funktion haben Sie sich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Was haben Sie dort konkret gemacht?

Im Ministerium war ich zunächst eine ganz kurze Zeit in der Agrar-Statistik. Danach war ich für allgemeine Förderdinge zuständig und kam dann in das Ministerbüro des damaligen Landwirtschaftsministers Günter Flessner. Flessner war ein Chef mit enormem Weitblick, gerade was die Beziehung Landwirtschaft Umwelt betrifft.

Ab 1983 war ich als Leiter im Landesamt für Naturschutz und Landespflege, wie es damals hieß, tätig. Hier kam mir sicherlich mein Agrarstudium zugute; ich konnte mich in die Situation und die Denkweise von Landwirten und in ihre Wirtschaftserfordernisse hineinversetzen, neben der Ökologie wichtig bei Extensivierungsprogrammen und Vertragsnaturschutz. Die Leitung der oberen Landesbehörde ist schon etwas Besonderes gewesen. Wir waren sehr selbstständig, klein aber fein und sehr stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wir arbeiteten in engem Teamwork, was nach außen ein bisschen wie eine Wagenburg wirkte. Für die Unteren Naturschutzbehörden und auch für das Ministerium waren wir die Ansprechpartner. Für jedes Naturschutzgebiet wurde ein Gutachten erstellt, das unbestechlich war und nicht mehr in Frage gestellt wurde. Das bedeutete eine große Verantwortung. Und wir waren eine Art Ideenschmiede dafür, wie sich der Naturschutz weiterentwickeln soll. Gerade in den 1970er- und 1980er-Jahren gab es eine enorme Entwicklung. Der Naturschutz gewann deutlich an Reputation und Interesse. Er wurde politisch interessanter, nicht zuletzt durch die Grünen, die stärker wurden. Das Amt wuchs in diesen neun Jahren etwa um das Doppelte. Dadurch, dass viele Leute eingestellt wurden, kam richtig "Musik rein". Am Ende meiner Zeit dort waren es etwa 50 Mitarbeiter.

Die Schweriner Zeit als Leiter der Abteilung Naturschutz, ab 1991 gleich nach der Wiedervereinigung, war aus naturschutzfachlichen Gesichtspunkten für mich die schönste Zeit, noch dazu in einem Land mit einem außergewöhnlichen Naturreichtum. Den amtlichen Naturschutz hatte es in der DDR nicht gegeben. Es waren fast alles ehemalige Ehrenamtler, mit denen wir eine neue Abteilung gründeten, was eine Herausforderung bedeutete: Wir mussten alles neu entwickeln, es gab auch kein Naturschutzgesetz in der DDR. Im Gegensatz zu anderen Bereichen, wie z.B. der Wasserwirtschafts- und Forstverwaltung, konnten wir die Naturschutzverwaltung vollkommen neu strukturieren und aufbauen. Mit einer sehr effizienten Personalstruktur: Etwa 70 Prozent des Personals kam aus Mecklenburg-Vorpommern, die übrigen aus westlichen Bundesländern. Juristen für Naturschutzrecht hatte es bis dahin nicht gegeben, und auch die Landschaftsplanung war neu. Durch die fachlichen Herausforderungen und ein hochmotiviertes Team war das eine tolle Zeit: Es herrschte Aufbruchstimmung. Drei neue Nationalparks, ein Biosphärenreservat und weitere Naturparke mussten "gemanagt" werden. Ganz schnell musste ein Naturschutzgesetz her. Wir haben ein Vorschaltgesetz gemacht, das das Bundesnaturschutzgesetz unmittelbar im Land wirken ließ. Wir haben eine neue Landschaftsplanung aufgebaut und Förderprogramme entwickelt. Jede Woche war ich für zwei Tage draußen, fuhr in die Region zu den Mitarbeitern, Aufbaustäben und später Naturschutzverwaltungen, die vor Ort agierten.

1992 übernahm ich die Leitung des damaligen Amtes für Land- und Wasserwirtschaft in Kiel – mit Landwirtschaft, Wasserwirtschaft, vielen Umweltbereichen, Flurneuordnung und Küstenschutz eine Allround-Institution. Nach der Ämterreform war ich dann von 1998 bis 2005 Leiter des Amtes für Ländliche Räume. Dort kamen noch weitere Aufgaben hinzu wie die Fischerei, andere fielen weg. Es war ein relativ großes Amt, was in der Organisationsphase sehr interessant war, aber im Naturschutz nicht mehr so viel forderte.

Die letzten sieben Jahre ab 2005 als Staatssekretär im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt waren wie die Schweriner Zeit eine besondere Herausforderung. Insbesondere der Vertragsnaturschutz, also die Konfliktlösung zwischen Nutz- und Schutzinteressen, lag mir am Herzen und die Effizienz der Verwaltung. Das fing an der Spitze an: Das neue Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt wurde aus Teilen von vier Ministerien zusammengesetzt. Auch der nachgeordnete Verwaltungsbereich wurde auf allen Ebenen neu organisiert, was einen enormen Effizienzgewinn und auch deutliche finanzielle Einsparungen mit sich brachte. Eine interessante Erfahrung, die mir viel Freude gemacht hat. Leider ist es jetzt wieder auseinandergebrochen, was ein Riesenfehler ist.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben Ihre Arbeit beeinflusst, und wie beurteilen Sie deren Wirkung?

In meiner Berufszeit hat sich sehr viel entwickelt. Besonders der Vertragsnaturschutz war ein wichtiger Punkt. Dieses Programm haben wir im Landesamt damals als erste in Deutschland entwickelt. Es fing als "zarte Pflanze" in der Eider-Treene-Sorge-Region an – gegen große Widerstände insbesondere des Bauernverbandes –, wurde später ein Super-Erfolg und immer weiterentwickelt. Der Vertragsnaturschutz ist heute noch eines der tragenden Elemente: heraus aus dem rein bewahrenden, reaktiven, gesetzlichen Naturschutz hin zu einer aktiven Rolle unter Einbeziehung von Partnern außerhalb der Behörde. Wir waren ein tolles Team. Wir hatten erkannt, dass wir aus der Isolation heraus müssen. Der amtliche Naturschutz war sehr lange sehr klein, eine "geschlossene Gesellschaft". Wir haben die "Wagenburg" verlassen, das brachte Befreiung und Rückenwind.

Bedeutend war auch die Landschaftsplanung. Für viele war und ist sie ein "Buch mit sieben Siegeln", verstrickt im behördlichen Dickicht. In Mecklenburg-Vorpommern sind wir damals einen anderen Weg gegangen. Wir hatten die Landschaftsplanung dort in einen gutachterlichen Teil und einen abgestimmten Teil aufgeteilt. Der gutachterliche Teil mit seiner Fachaussage war nicht anzugreifen. Der Umsetzungsteil dagegen durchlief die Behördenabstimmung. Das war ein interessanter Weg, der aber leider nicht weiter vollzogen worden ist.

Heute werden in der Landschaftsplanung auch die fachlichen Aussagen abgewogen und diskutiert und dadurch vielfach verwässert. Die zweigeteilte Landschaftsplanung fand ich objektiver.

Und natürlich hat die Institution mit ihrer zusammenfassenden Organisation Einfluss gehabt: Je stärker sie segregiert und isoliert ist, desto schwieriger ist es für den Naturschutz, sich Gehör zu verschaffen. Je stärker die Integration auch mit anderen Fachbereichen ist, umso erfolgreicher kann der Naturschutz arbeiten.

Welche Ziele waren Ihnen bei Ihrer Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Das große Ziel war, Konflikte zu lösen. Die großen Konflikte bestanden und bestehen immer noch zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Ich habe versucht, kooperative Verfahren einzuführen, denn es reicht nicht, nur miteinander zu sprechen, sondern man muss Ergebnisse erzielen. Das haben wir mit dem Vertragsnaturschutz erreicht, der dann auf Verträge im Forstbereich ausgeweitet wurde. Forst ist auch ein wichtiger Punkt, auch da gab und gibt es Konflikte.

Ein weiteres Ziel und Oberziel des Naturschutzes ist es, den Artenschwund zu stoppen, also nicht nur das Bestehende zu schützen, sondern den Artenschwund durch aktives Handeln zu bremsen.

Ein dritter Punkt ist, in der Öffentlichkeit Akzeptanz zu finden. Denn was nützt es, wenn wir das alles erkennen, aber es weder von der Bevölkerung noch von der Politik akzeptiert wird.

Ein weiteres Ziel war, die Motivation der Mitarbeiter zu erhalten. Wo Sie Grenzen aufzeigen, wo Sie auch Verbote aussprechen, sind Sie immer Widerständen und Anfeindungen ausgesetzt. Dadurch steht der Naturschutz ganz schön unter Druck und damit auch die eigene Mitarbeiterschaft.

Das waren meine Hauptziele, und an diesen Zielen hat sich nichts geändert.

Was würden Sie als Ihren größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen und warum?

Den Vertragsnaturschutz einzuführen, war der größte Erfolg, den der amtliche Naturschutz damals in Schleswig-Holstein erreicht hat. Und das war nicht mein Erfolg, sondern der des Teams.

Und dann der Aufbau der Naturschutzverwaltung in Mecklenburg-Vorpommern in einer bewegten Zeit. Es war unheimlich befriedigend, aus dem Nichts heraus etwas Neues zu schaffen, was Erfolg hat. Die großen Schutzgebiete, wie National- und Naturpark, die erhalten und weiterentwickelt worden sind, sind ein besonderes Pfund. Da ist ganz viel Gutes passiert.

Erwähnen möchte ich auch die positiven Ergebnisse mit den regenerativen Energien in den zwei Jahren Mecklenburg. Es ging dort mit Windkraftanlagen im "Wildwuchs" los. Mithilfe eines sehr guten Referatsleiters konnten wir sehr schnell landesweit einen Positivkatalog entwickeln, der geeignete Flächen, auf denen der Naturschutz keine Probleme sieht, dargestellt hat. Wir gingen also nicht in die Ablehnung, sondern zeigten, auf welchen Flächen es in der Abstimmung weniger Probleme geben würde. Das war ein guter Weg, denn dadurch konnten wir aus Sicht des Naturschutzes schnell eine positive Kommunikation zu den regenerativen Energien herstellen.

Und in meinen letzten Berufsjahren habe ich mich – das geht allerdings über den Naturschutz hinaus – erfolgreich um die Neuorganisation der Agrar- und Umweltverwaltung gekümmert. Leider wird sie jetzt wieder auseinandergenommen.

Wann ist Ihnen der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

Bei der Wiedervernässung und der Extensivierung von moorigen Standorten spielte der Begriff für mich zum ersten Mal hinein. Das war etwa Mitte der 1980er-Jahre. Die Hochmoorregeneration lief schon seit Anfang der 1980er-Jahre, zum Beispiel im Dosenmoor. Da spielte die Problematik der entwässerten Moore als "CO2-Schleudern" schon eine Rolle. Mit dem Aufkommen der regenerativen Energien als für den Naturschutz eher belastender Faktor kam das Thema verstärkt auf. Auch während der Zeit in Mecklenburg-Vorpommern, als wir den Positivkatalog für die Windkraftanlagen entwickelt haben.

Der politische Begriff Klimaschutz war damals noch nicht Thema. Das kam erst später, als Mojib Latif in Kiel sehr zündende Vorträge hielt und mit Zahlen untermauerte, wo wir hinsteuern. Dann gab es die großen internationalen Konferenzen.

Haben Sie Klimaschutzaspekte bei Ihrer Naturschutzarbeit aktiv miteinbezogen? Wo und wann ist Ihnen das mit welchen Maßnahmen gelungen.

Ja, eher unbewusst. Es geschah nicht speziell unter dem Gesichtspunkt Klimaschutz, sondern unter dem Gesichtspunkt Naturschutz mit einem positiven Effekt für den Klimaschutz.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, Ihrer Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Mit der Frage tue ich mich schwer, weil man die Frage auch genau umgekehrt stellen kann: Wie wirkt der Klimaschutz auf den Naturschutz? Da gibt es ja durchaus Konflikte.

Der Moorschutz wurde hauptsächlich aus Arten- und Biotopschutzgründen betrieben, ist aber im Nachhinein auch als klimarelevant anzusehen.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Am besten gelungen ist die Integration im Moorschutzbereich mit der Wiedervernässung. Da hat sicher auch der Vertragsnaturschutz eine positive Rolle gespielt. Ansonsten ist die Integration eher konfliktbeladen. Gerade die regenerativen Energieformen, die eine Folge des Klimaschutzziels sind, belasten eher den Naturschutz und insbesondere den Artenschutz. Ich habe die Sorge, dass der Naturschutz ins Abseits gerät und eher Nachteile erleidet als Vorteile erfährt. Hier ist Kooperation wichtig.

Natürlich kann man sagen, dass die Integration da gelungen ist, wo diese Konflikte zum Beispiel durch Abstandsregelungen vermieden werden. Damit hat der Naturschutz zwar nicht profitiert, aber er hat nicht den Schaden genommen, den er sonst erlitten hätte.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

Ich sehe eher die Gefahr, dass Klimaschutz für den Naturschutz zu Nachteilen führen kann. Wir haben Beispiele, dass zu wenig Rücksicht genommen worden ist. Und es ist eigentlich eine neue Entwicklung, dass wir auch aus Sicht des Naturschutzes eine stärkere Kombination mit Klimaschutzaspekten finden.

Heute ist der Klimaschutz sehr stark in den Fokus gekommen. Damals war die Einbeziehung des Klimaschutzes politisch nicht relevant. Es gab Abwehrgefechte gegen Windparkanlagen. Da hat es sicher immer wieder Kompromisse gegeben, aber der Naturschutz hat nicht davon profitiert. So wichtig diese Anlagen auch sind. Bestimmte Bereiche hat man dann ausgenommen und damit freigehalten, aber es waren doch immer wieder Abwehrgefechte nötig.

Gibt es, wenn Sie auf einzelne Projekte zurückblicken, Dinge, die Sie heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würden?

Wenn man damals um diese engen Beziehungen mehr gewusst hätte, hätte man sicherlich manches schon stärker kombinieren können. Man hätte beispielsweise gerade bei uns in den Niedermoorbereichen früher damit anfangen können, Kombinationen zu entwickeln, die heute erst in der Genese sind. Sie sind ja immer noch nicht oder nur teilweise umgesetzt worden. Man hätte auch die ganzen Überlandleitungen, besonders die Hochspannungsleitungen, die neu gebaut werden, um den Windstrom abzuführen, über Gleichstromleitungen in die Erde verlegen können, was wesentlich konfliktärmer für den Naturschutz gewesen wäre. Da hätte man sich früher mit mehr politischem Willen durchsetzen können.

Aber ich sehe nicht im Zorn zurück. Jede Zeit hat ihre Probleme, und dass heute der Klimaschutz durch den Bewusstseinswandel in den Vordergrund gekommen ist, führt zu entsprechenden Reaktionen. Wir müssen jetzt aufpassen, dass der Naturschutz nicht der Leidtragende ist.

Wie sieht für Sie erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo sehen Sie die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur- und Klimaschutz?

Ich sehe da insbesondere Modelle, die im Niedermoorbereich eine viel engere Verzahnung ausbilden können, als Herausforderung der Zukunft. Zum Beispiel durch eine Kombination von Wiedervernässung und Photovoltaik, wie sie Professor Friedhelm Taube vorschlägt. Diesen Vorschlag halte ich für sehr unterstützenswert, weil es eine echte Win-Win-Situation für alle Seiten sein könnte. Für die Landwirte, weil sie Eigentümer bleiben können, wenn sie das wollen. Sie hätten sogar eine Rendite davon. Und das Moor kann wiedervernässt werden. Wir hätten nicht mehr diese Ausgasungen, und wir könnten diese Flächen für regenerative Energie nutzen. Damit ließen sich andere Bereiche von Photovoltaik freihalten. Dieses sogenannte Taube-Modell halte ich für die richtige Blaupause, die schnellstmöglich umgesetzt werden müsste.

Und ich bin unbedingt für den Erhalt des Grünlandes. Auch durch die EU-Vorschriften haben wir mittlerweile das generelle Umbruchverbot von Grünland. Durch eine Extensivierung können wir höhere Wasserstände halten, haben wir weniger Vieh auf der Fläche. Das gehört auch zu dem „Taube-Modell“. Auch die Klimafarm der Stiftung Naturschutz halte ich für einen guten Ansatz.

Wir müssen bei diesem Thema aber aufpassen, dass der Naturschutz nicht "unter die Räder" kommt. Der Klimaschutz ist sehr technikaffin und wird für die kurzzeitige Umsetzung mit sehr viel Geld ausgestattet. Insbesondere der Energiebereich entwickelt mit viel politischem Rückenwind sehr viele Aktivitäten. Der Naturschutz mit seinen Zielen wie der Biodiversitätssteigerung ist ein "Langläufer", der Extensivierung und weniger Technik fordert. Da beißen sich die Ziele. Hier darf der Naturschutz nicht der Verlierer sein. Wir leben in einem hochindustrialisierten Land. Die Menschen denken stark technisch orientiert, weniger vorsorgend und ökologisch. Es besteht die Gefahr, dass man dem alle anderen Ziele unterordnet. Ich erwarte vom Klimaschutz ein stärkeres Zugehen auf den Naturschutz als umgekehrt, denn der Naturschutz hatte den Klimaschutz immer mit im Auge, zum Teil nicht wissend, aber er hat auf jeden Fall für dieses Ziel mit gewirkt.

Einen Punkt haben wir noch nicht angesprochen, der auch klimarelevant ist und bei uns im Nationalpark eine Rolle spielt. Durch die Meeresspiegelanstiege können wir in absehbarer Zukunft Probleme bekommen. Der Meeresspiegel steigt schneller als das Watt mitwächst, und damit bekommen wir unter Umständen riesige ökologische Probleme. Das sind natürliche Prozesse, die jetzt ablaufen, aber die negative Auswirkungen auf die Natur haben werden. Vom Naturschutz her kann man da gar nichts machen. Da sehe ich keine realistische Kooperation, sondern eine Bringschuld der Politik, dass sie Maßnahmen ergreift, die international wirken.

Welche Ziele und Herangehensweisen halten Sie in diesem Zusammenhang für realistisch?

Die oben erwähnten Modelle sind ja schon sehr realistisch. Dass wir insbesondere, was die Landnutzung und ungenutzte Flächen in den Nationalparken und in den Naturschutzgebieten betrifft, eine engere Kooperation zwischen Naturschutz und Klimaschutz hinbekommen, ist ein realistisches Ziel. Auf dem Weg sind wir ja.

Dazu fällt mir noch ein anderer Aspekt ein: An den Zielen und an den Problemen hat sich nicht so viel geändert. Aber im amtlichen Naturschutz ist vielleicht ein bisschen mehr Routine eingetreten. Das kann zu einer gewissen Lethargie führen. Wir brauchen aber immer wieder auch neue Impulse. Nichts ist schlimmer, als wenn man im Stillstand verharrt. Wir brauchen Nachwuchs, Menschen, die gut ausgebildet sind und für ihre Sache brennen. Dieses Brennen, was man immer im Neuanfang sieht, wie damals in Schwerin, wird weniger und nimmt automatisch ab, wenn man nicht immer wieder auch engagierten Nachwuchs bekommt. Ich habe ein bisschen die Sorge, dass es wie überall im öffentlichen Dienst auch im Naturschutz schwierig ist, gute und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Auf keinen Fall dürfen die Ziele des Klimaschutzes die Ziele des Naturschutzes beiseite drängen, der Klimaschutz darf den Weg der Kooperation nicht verlassen.