Stiftung Naturschutz

„Keine Planung für die Schublade“

Interview mit Jutta Walter am 15.03.23 in Molfsee, Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein

Vita

Ich bin 1955 geboren und in Preetz aufgewachsen. Nach dem Abitur 1974 habe ich ein Jahr im Krankenhaus gearbeitet und dann eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin gemacht. In dem Beruf habe ich einige Jahre gearbeitet und dann 1980 das Biologie-Studium an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel begonnen, das ich mit einer Diplomarbeit bei Professor Klaus Dierßen abgeschlossen habe. 1988 war ich kurz im Ökosystem-Forschungsprojekt Bornhöved, dann für die Uni in der Ökosystemforschung Wattenmeer tätig. In der Zeit habe ich meine beiden Töchter bekommen. Danach habe ich sieben Jahre in einem Planungsbüro gearbeitet, bin anschließend in die Selbstständigkeit gegangen und habe auch Gutachten für die Stiftung Naturschutz erstellt, die mich dann eingestellt hat. Seit September 2022 bin ich in Rente und habe jetzt noch einen Honorarvertrag, arbeite also an zwei Tagen die Woche weiter.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst?

Ich hatte schon als Kind ein Gespür für Naturnähe. Ich bin im Schwentinetal herumgestromert und im Urlaub mit meinen Eltern auf den dänischen Inseln. Ich erinnere mich, wie sich die Mülldeponie in Preetz immer weiter zum Wald hin ausgedehnt und Kleingewässer zugeschüttet hat, oder dass in der Senke am Ortsausgang von Preetz eine schöne Sumpfdotterblumenwiese mit Pappeln aufgeforstet wurde. Schon als Kind habe ich das als falsch empfunden: Pappeln pusten das Wasser in die Luft und die schöne Wiese geht vor die Hunde. In der fünften Klasse sind wir draußen herumspaziert, haben Blümchen gepflückt und sie gemalt. Daran hatte ich viel Freude. An den Naturschutz richtig herangeführt hat mich Prof. Dierßen im Studium. Das war Mitte der 1980er-Jahre. Da bin ich in die AG Geobotanik eingetreten.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Welche Aufgaben hatten deine Wirkungsstätten? Was hast du dort konkret gemacht?

Das direkte Engagement im Naturschutz war hauptsächlich in meinem Beruf als Biologin. 1988 war ich kurz im Ökosystem-Forschungsprojekt Bornhöved tätig. Danach, in der Ökosystemforschung Wattenmeer, haben wir zu dritt Vegetations- und Bodenuntersuchungen durchgeführt. Während der Jahre im Planungsbüro war ein wichtiges Projekt die Erstellung des Pflege- und Entwicklungsplans Schaalsee-Landschaft. Als Selbstständige habe ich am Pflege- und Entwicklungsplan Obere Treenelandschaft mitgearbeitet und habe auch Gutachten für die Stiftung Naturschutz gemacht. In der Stiftung war ich zunächst im Flächenmanagement für den Kreis Dithmarschen und 2011, als das Moorschutzprogramm des Landes eingerichtet wurde, habe ich die Stelle für die Wiedervernässung von Mooren übernommen. Der Schwerpunkt ist in der Eider-Treene-Sorge-Region. Ich arbeite viel mit dem Landesamt, mit Julia Jacobsen, zusammen. Wir gucken, welche Stiftungsflächen zusammenhängend sind und wo größere Flächen zusammenhängend vernässt werden können. Das stimmen wir gemeinsam ab und dann stelle ich einen Mittelantrag, schreibe die Planung aus, begleite die Planung fachlich und stelle alle Anträge, die für so eine Maßnahme gebraucht werden. Ich schreibe schließlich die Umsetzung aus und begleite sie.

Grundsätzlich stimmen wir unsere Vorhaben mit dem Landesamt ab und wir brauchen die Genehmigungen der Unteren Naturschutzbehörde und der Wasserbehörde. Das Archäologische Landesamt wird gefragt, ob es im Gebiet Fundstätten gibt. Die Wasserbehörde bezieht die Boden- und Wasserverbände mit ein. Meistens gehen wir so vor, dass wir zuerst eine Versammlung im Ort machen und erklären, was wir vorhaben. Hinweise von Ortskennern beziehen wir gern in die Planung ein. Immer wieder begegnet uns die Angst, dass benachbarte Flächen und Wege mit vernässt werden.

Es gibt viele Wege durch Moore. Die Gemeinden haben häufig Probleme, sie aufrechtzuerhalten, wenn sie immer mehr sacken. Wenn der Weg tiefer liegt als die angrenzenden Moorflächen, weil er durch die Wegeseitengräben und durch den Schotter, der dort aufgebracht wurde, gesackt ist, ist es bezüglich der Moorrenaturierung ungünstig, ihn zu erhalten. Dort wäre es aus Klima- und Moorschutzschutzsicht sinnvoller, ihn in die Vernässung einzubeziehen. In Offenbüttel und Dellstedt hat man sich schon von Wegen getrennt.

Wenn Wege von Gemeinden aufgegeben werden, ist das innerhalb der Gemeindevertretung Konsens. Sie hatten dann schon lange Probleme, die Wege aufrechtzuerhalten, oder das Wegenetz ist so, dass es kein großer Verlust ist, wenn ein Weg aufgegeben wird. Wenn es sich aber um einen Weg handelt, auf dem die Leute mit ihrem Hund spazieren gehen oder da gehen wollen, weil es die beste Verbindung ist, dann ist es schwer, den Weg aufzuheben. Landwirtschaft gibt es dort nicht mehr, häufig sind es die Jäger, die die Wege weiter nutzen wollen.

Wenn ein Weg aufgegeben wird, beziehen wir ihn in die Vernässung ein und ein paar Jahre später sieht man nicht mehr, dass da mal ein Weg war.

Ich habe hauptsächlich in Hochmooren gearbeitet, da geht es um Totalvernässung und die Regeneration der moortypischen Biotope. Wir haben teilweise auch Flächen, wo die Zielsetzung mehr in Richtung Grünlanderhalt ging, weil sie wegen der Vegetation oder aus Gründen des Wiesenvogelschutzes nicht total vernässt werden sollten. Da ist es nicht so ganz einfach, die Pflege zu gewährleisten. Ich war fast nur auf Stiftungsflächen tätig.

Ehrenamtlich habe ich ab und zu in der AG Geobotanik Exkursionen geleitet oder Veranstaltungen mit vorbereitet.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Die beiden Projekte Schaalsee-Landschaft und Obere Treenelandschaft waren Großschutzprojekte des Bundes.

Dann die Ausweisung von Natura-2000-Gebieten, die Erstellung von Managementplänen und das ELER-Programm, über das all die Moorschutzmaßnahmen finanziert sind.

Und das Moorschutzprogramm des Landes: Daraus wird meine Stelle finanziert und meist auch die Planung.

Ohne diese ganzen Instrumente hätte das alles nicht stattgefunden.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Mir ging es immer darum, die Naturnähe von Flächen zu erhalten oder wiederherzustellen und das zu planen. Daneben ist der Klimaschutz zunehmend in den Fokus gerückt.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen und warum?

Für mich ist schon toll, dass die Maßnahmen dort, wo wir die Pflege- und Entwicklungspläne gemacht haben, heute zum großen Teil umgesetzt sind, dass das keine Planung für die Schublade war. Wenn ich jetzt im Schaalsee-Gebiet bin oder auch an der Oberen Treene, dann ist da gemacht, was wir geplant haben. Das ist großartig. Bei den Moorvernässungsmaßnahmen ist es einfach total schön, dass man, wenn man Wasser in die Landschaft bringt, so schnell Erfolge sieht. Tatsächlich wachsen nach ein paar Jahren auf den Flächen ganz von selber wieder Torfmoose. Das lässt mein Herz höherschlagen.

Wann ist dir der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

1986 gab es einen Spiegel-Titel zum Klimawandel. Da habe ich gedacht: Hoppla, wenn das stimmt, verändert sich viel. Als ich von der Uni aus im Salzwiesen-Projekt gearbeitet habe, war uns bewusst, dass der Meeresspiegel steigt, was ja auch eine Folge des Klimawandels ist. Im Schaalsee-Projekt, das 1994 begonnen hat, gab es viele Moore, Niedermoore und Hochmoore, für die wir geplant haben. Da haben wir gesehen, dass Moore sacken, wenn sie entwässert sind. Das Bewusstsein für den Klimawandel haben wir seit Mitte der 1990er-Jahre.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv mit einbezogen? Wo und wann ist dir das mit welchen Maßnahmen gelungen?

Alle Moorschutzmaßnahmen dienen sowohl dem Biotopschutz als auch dem Klimaschutz. Das ist uns zunehmend bewusst geworden. Früher in der Uni bei den Exkursionen mit Prof. Dierßen war der Klimaschutz noch nicht so im Fokus. Da ging es um die tollen Moorbiotope und wir hatten vor Augen, was es zu erhalten und wiederherzustellen gilt. Das hat meinen Berufsweg begleitet.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Moorschutz ist sowohl Biotop- als auch Klimaschutz. Alles, was wir dort machen, ist in diesem Sinne relevant. Auch wenn nicht gedüngt wird, wenn die Feuchtwiesen oder auch andere Wiesen extensiviert werden, dient es dem Klimaschutz.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

In den Mooren spielt das wirklich zusammen und speziell in den Hochmooren war beides gut zu integrieren.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

Moorschutzmaßnahmen scheitern häufig an den Eigentumsgrenzen. Man muss großflächiger agieren und kann sich nicht auf eine Parzelle beschränken. Wenn da ein Privateigentümer nicht bereit ist mitzumachen, ist das der Hauptgrund, dass wir nicht schneller vorankommen.

Zielkonflikte ergeben sich eher auf Niedermoorflächen, wo naturschutzfachliche Zielsetzungen abgewogen werden müssen: Soll Grünland aufrechterhalten werden, um eine schöne Feuchtwiese für die Wiesenvögel zu entwickeln oder zu erhalten, oder sollen wir Totalvernässung und Moorregeneration betreiben? Das muss mit gutem fachlichen Hintergrund abgewogen werden, aber ich sehe da keinen grundlegenden Konflikt. Auch eine Feuchtwiese ist keine große Klimabelastung. Naturschutzinterne Zielkonflikte hänge ich von daher nicht so hoch.

Gibt es, wenn du auf die einzelnen Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Monitoring finde ich wichtig. Dass wir gucken, wie sich unsere Maßnahmen entwickeln. Wir können beispielsweise die Wasserstände nach der Maßnahmenumsetzung regulieren, können nachsteuern oder eben auch für Folgeprojekte daraus lernen. Das findet punktuell, aber nicht systematisch statt. Wir begleiten die Wasserstandsröhren, die im Rahmen der Planung gesetzt worden sind, weiter, sodass wir die Wasserstände im Blick haben. Ansonsten gehen wir die Gebiete ab und zu ab. Anders sieht es bei den MoorFuture-Flächen aus. Da muss Monitoring laufen und wir erstellen Vorher-Nachher-Karten. Auf anderen Flächen wird das leider nicht gemacht.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens?

Mein Fokus liegt auf den Mooren. Die landwirtschaftliche Nutzung auf Mooren muss extensiviert werden. Das dient auch der Wiederausbreitung von Arten, die stark im Rückgang sind. Bei der feuchten Bewirtschaftung der Moore müssen neue Techniken entwickelt werden. Das wird z.B. auf der Klimafarm der Stiftung Naturschutz erprobt. Im Bereich der Moore sehe ich gute Synergien von Arten-, Biotop- und Klimaschutz.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Ich finde es wichtig, Leute, die vor Ort aktiv werden, dabei zu unterstützen. Der Deutsche Verband für Landschaftspflege e.V. (DVL) hat die Lokalen Aktionen. Das ist ein Schritt in die Richtung, aktiver in die Region zu gehen und dort einen Anlaufpunkt für Menschen zu schaffen, die etwas tun wollen. Teilweise kommen die Leute auch zu uns. Ich sehe, dass es viel wirksamer ist, wenn Menschen vor Ort mit den anderen reden. Die kennen sich ja untereinander und was sie sagen, hat ein ganz anderes Gewicht, als wenn Leute aus der Stadt kommen und etwas Schlaues erzählen. Wir sollten die Leute in den Regionen bestärken und fachlich unterstützen.

Ein Beispiel ist das Ahrenviölfelder Westermoor, wo wir die Vernässung organisiert haben. Hauptsächlich sind dort Stiftungsflächen, aber es waren auch Privatparzellen dazwischen. Der örtliche Naturschutzbeauftragte hat alle Eigentümer angesprochen und hat alle Zustimmungen bekommen. Auch in Dithmarschen sind zwei Männer aktiv, die etwas für den Naturschutz tun wollen. Sie gehen herum und beschaffen die Flächen. Das ist total hilfreich und großartig. Oder Menschen wie Ulrike Gräber in Stormarn: Wir spazieren gemeinsam durchs Moor und überlegen, was wir tun können. Sie nimmt es dann in die Hand, guckt, wie stark die Wasserstandschwankungen im Moor sind, überlegt und geht selbst heran. Das kann nicht alles zentral gewuppt werden.

Insgesamt braucht es alle Unterstützung, die möglich ist, auch den politischen Ansatz.

Im Moment gibt es viele Diskussionen in der Eider-Treene-Sorge-Region, auch mit den Wasser- und Bodenverbänden, dort werden sie das Wasser einfach nicht mehr los. Die Gemeinden wachen langsam auf, alle wollen etwas tun. Sie kommen zu uns mit ganz kleinen Mooren, für die sie etwas tun wollen. Das Bewusstsein wächst. Die Politik sollte die lokalen Aktionen stärken oder noch viel mehr davon einrichten, damit die Leute Anlaufpunkte haben. Und wir müssen Fachleute ausbilden, die gut Bescheid wissen und vor Ort unterstützen können. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es muss gefördert werden.

Wenn wir Moore vernässen wollen, machen sich viele Sorgen, was dann mit ihrer benachbarten Parzelle passiert, ob sie auch nass wird. Das können wir meist entkräften. Wir können viele Beispiele zeigen, wo das nicht passiert. Wir bauen bei der Hochmoorvernässung am Rand der Parzelle, die vernässt wird, einen Damm. Dahinter ist meist ein Graben und dahinter ist ein Weg oder die Nachbarparzelle. Durch den Graben besteht eine klare hydrologische Grenze, sodass da nichts passiert. In den Graben läuft es über, wenn aus unseren Fläche Überschusswasser abfließt, und der Graben entwässert die benachbarten Flächen, die noch entwässert werden sollen. Aber natürlich gibt es Leute, die das trotzdem nicht wollen.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Aktionismus, also einfach loszulegen, ist in Mooren ein Problem. Wenn man etwas falsch gemacht hat, ist es schwer, es hinterher wieder richtig hinzubekommen. Wenn der Torf kaputt ist und es ist eine Ecke vernässt, aber noch nicht gut genug, wird es schwierig. Man kann etwas kaputt machen, was erhaltenswert ist. Die Vernässungsmaßnahmen sind heftige Eingriffe. Da baggert ein Bagger im Torf herum und ich muss abwägen, wo ich den Torf für den Grabenstau oder für den Damm entnehme, wo der Damm entlanglaufen soll, damit das Wasser optimal gehalten wird aber gleichzeitig nichts Wertvolles zerstört wird. Ich muss dafür sorgen, dass wertvolle Flächen nicht zu stark überstaut werden und die Vegetation kaputt geht. Das braucht eine gute Planung, aber diese Planung muss zielführend sein. Es geht nicht darum, jahrelang bis ins i-Tüpfelchen alles genau zu erheben und zu erforschen und Gutachten um Gutachten zu machen. Es braucht das richtige Maß. Wir brauchen eine gute, zielführende Planung und dann kann es losgehen.