Stiftung Naturschutz

„Ein Riesenpotenzial für den Naturschutz“

Interview mit Prof. Dr. Friedhelm Taube am 16.03.2023 in Kiel

Vita

Geboren bin ich im Juni 1955 in Niedersachsen. Meine Eltern haben dort einen landwirtschaftlichen Betrieb geführt. Nach dem Abitur stand der Grundwehrdienst an. Anschließend folgte in Kiel das Studium der Agrarwissenschaften mit dem Abschluss Diplom-Agraringenieur im Jahr 1981. Dann der Berufseinstieg mit einer Tätigkeit als Volontär-Verwalter auf einem großen Gutsbetrieb im Kreis Plön. Danach habe ich 1983 das Angebot einer Assistentenstelle am Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Abteilung Grünland und Futterbau, an der CAU angenommen mit der Möglichkeit der Promotion. Mit Professor Dr. Alois Kornher hatte ich einen hervorragenden Wissenschaftler als Doktorvater, der mich während der Doktorandenzeit sehr zur Entfaltung kommen ließ und mir die Begeisterung für die Forschung eröffnet hat. 1986 Promotion, 1993 Habilitation. Da war ich schon seit zwei Jahren ab 1991 als Professor für Grünland, Futterbau, Ökologie und ökologischen Landbau an der Fachhochschule Kiel im Fachbereich Landbau in Rendsburg-Osterrönfeld tätig. Dort wurde der Grundstein für meine später folgenden systemorientierten Forschungsarbeiten mit intensivem Bezug zu Naturschutz und Ökologie gelegt. Vorher hatte ich in meinen Forschungsarbeiten für die Promotion spezielle Ertragsbildungsfragen von Grünlandgräsern bearbeitet, also klassische produktionsorientierte Fragestellungen.

Als Dozent an der FH war ich nun neben der Grünlandlehre zusätzlich mit den Fächern Ökologie und Ökologischer Landbau betraut und die Synthese dieser Fachgebiete hat mich begeistert. So hat sich ein großes Interesse für die Entwicklung und Bewertung von Landnutzungssystemen in Landschaften, nachhaltige Produktionssysteme und auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Landnutzungskonzepten in Bezug auf den Naturschutz ergeben.

1995 habe ich mich schließlich erfolgreich auf eine Universitätsprofessur, die Nachfolge meines Doktorvaters Prof. Kornher in Kiel beworben. Vier Wochen nachdem ich angefangen hatte, schrieb ich auf Bitte des damaligen Dekans ein zehnseitiges Konzept darüber, wie das Fachgebiet Ökologischer Landbau an der CAU Kiel optimal strukturiert und mit Leben erfüllt werden kann. Das Konzept des Forschungsschwerpunkts „Ökologischer Landbau und extensive Landnutzungssysteme“ war so zum 1.7. 1997 unter meiner Leitung aus der Taufe gehoben. Damit verbunden war für mich auch die wissenschaftliche Leitung des 150 Hektar großen Versuchsguts Lindhof, das bis dahin (neben 50 Hektar unter ökologischer Bewirtschaftung) hoch intensiv konventionell bewirtschaftet worden war. Schnell wurde klar, dass dies ökonomisch nicht darstellbar war, und so wurde der Lindhof innerhalb weniger Jahre komplett auf Ökolandbau umgestellt. Damit haben wir seit 1997 ein Drittel der Landflächen der Versuchsgüter der Universität in Schleswig-Holstein auf Ökolandbau umgestellt und waren so Vorreiter.

Nach Jahren des Aufbaus auf dem Lindhof und der parallelen Durchführung eines großen gemeinsamen Forschungsprojekts zu Stickstoffflüssen auf Futterbaubetrieben (N-Projekt Karkendamm) folgten Tätigkeiten in der akademischen Selbstverwaltung (Dekan; Senator) sowie Aktivitäten in Fachgesellschaften (Präsident der Gesellschaft für Pflanzenbauwissenschaften, Präsident des Deutschen Maiskomitees, Fachgutachter in der Deutschen Forschungsgemeinschaft und elf wunderbare Jahre im Wissenschaftlichen Beirat Agrarpolitik in Berlin). Seit 2019 bin ich mit einer Zusatzprofessur an der Universität Wageningen in den Niederlanden betraut und 2020 wurde ich als erster Agrarwissenschaftler in die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) berufen.

Wann haben Sie begonnen, sich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat Sie beeinflusst? Wann war das?

Mein Patenonkel betreibt seit 1970 einen Demeter-Betrieb in Schweden in der Nähe von Järna. Er ist dort sehr bekannt und hat auch mit dem Zentrum in Järna einen intensiven Austausch. Ich schätze ihn sehr, er ist ein Humanist, sehr belesen und intellektuell ein spannender Mensch. Wir haben uns intensiv über Naturschutz, ökologischen Landbau, ethische Fragen der Landnutzung auseinandergesetzt. Das war die Hinführung zu diesen Themen schon vor und während des Studiums. Durch diesen Kontakt habe ich mich sehr intensiv mit den Fragen auseinandergesetzt: Was ist gute und was ist richtige Landwirtschaft? Welche Rolle spielt Naturschutz in der Landwirtschaft?

Wo, wann und in welcher Funktion haben Sie sich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Welche Aufgaben hatten Ihre Wirkungsstätten? Was haben Sie dort konkret gemacht?

Ich habe das große Glück gehabt, seit 1997 für einen Versuchsbetrieb, den Lindhof, allein verantwortlich zu sein. Das ist ein absolutes Unikat in der Hochschullandschaft in Deutschland. Ich wusste, was auf den Agrarstandorten der Welt in Verbindung mit Grünlandnutzung, Futterbau und Milcherzeugung vor sich ging, von Steppen, Savannen bis hin zur Milcherzeugung in Neuseeland und Irland. Daraus haben sich die Gedanken dahingehend entwickelt, was hier bei uns als öko-effiziente Milcherzeugung funktionieren müsste. Ohne eine fantastische Mannschaft mit Dr. Ralf Loges, der die Verbindungsstelle zwischen Institut und Betrieb darstellt, hoch engagierten technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Betriebsleiterin Sabine Mues hätte das nicht funktioniert. Wir als Team haben den Betrieb entwickelt – zunächst recht extensiv mit der Weiterführung der Mutterkuhhaltung und Ackerbau, weil an eine Milchviehherde seinerzeit aufgrund hoher Preise für Milchlieferrechte nicht zu denken war.

Wenn Ökolandbau in Bezug auf die Nährstoffkreisläufe funktionieren soll, braucht man jedoch Kühe, weil nur so das Kleegras auf hochwertigen Standorten ökonomisch gut verwertet werden kann. Biologische Unkrautbekämpfung und Stickstoffeinträge ins System sind die Stichworte dazu. Es dauerte bis 2015, bis dieses Ziel realisiert wurde: Nach guten Gesprächen mit dem damaligen Landwirtschafts- und Umweltminister Robert Habeck gelang es mit erheblicher finanzieller Unterstützung des Ministeriums, das Modell eines Gemischtbetriebs mit Milcherzeugung im Hügelland auf dem Betrieb zu etablieren, um so die Tiere wieder gleichmäßiger im Lande zu verteilen und Nährstoffüberschüsse auf der Geest zu reduzieren, und um zu zeigen, wie die Schnittstelle zwischen intensiver Landwirtschaft und Naturschutz auf einem Gunststandort der Produktion aussehen kann: mit einer Weidemilcherzeugung, die auf Kleegras aufgebaut ist.

Eine Doktorandin des Kollegen Prof. Tim Diekötter konnte kürzlich zeigen, dass die Kleegrassysteme, obwohl sie intensiv genutzt werden, fast eine gleiche Funktion ausüben wie Blühstreifen, indem sie Futter nicht nur für die Kühe, sondern über Blütenreichtum auch für Wildbienen und andere Insekten bereitstellen. In einer zweiten Arbeit zeigt sie, dass die von uns eingesetzten acht Arten (neben Gras und Klee sind es mehrere Kräuter), dazu führen, dass sich bereits in den drei Jahren, in denen wir diese Mischungen auf dem Acker testen, eine eigene Käfer-Subpopulation entwickelt hat.

Während der ganzen Zeit hatten wir immer intensiven Kontakt zum Fachgebiet Ökologie, zu der Gruppe von Prof. Hartmut Roweck und Prof. Hans-Rudolf Bork aus dem Ökologiezentrum, die den Bereich Ökologie und somit Naturschutzaspekte mit bedienten. Einige Teilflächen des Lindhofs sind absolut dem Naturschutz gewidmet. Der Dünenstreifen an der Ostsee ist Naturschutz-Grasland, weil dort Trockenrasen-Gesellschaften vorkommen. So sicherten wir immer die Schnittstelle zum Naturschutz.

Neben dem Lindhof waren wir diesbezüglich vor allem seit Mitte der 1990er-Jahre bei dem Fielmann-Projekt Hof Ritzerau aktiv. Das ist ein 300-Hektar-Betrieb im Kreis Herzogtum Lauenburg, mit besten Böden. Damit haben wir dann die Zweiteilung seitens der Forschung bedienen können. Auf dem Lindhof haben wir konsequent darauf gesetzt, im Ökolandbau hoch produktiv zu sein, und in Ritzerau haben wir primär darauf gesetzt, die Ökosystem-Dienstleistungen umfassend zu erfüllen. Dort war das damals noch existierende Ökologiezentrum mit den Kollegen Roweck, Schrautzer und Irmler beteiligt und noch einige andere mehr.

Wir haben dort zwölf Jahre Begleitforschung zur Umstellung zum ökologischen Landbau durchgeführt. Angefangen mit einem letzten Jahr konventioneller Bewirtschaftung, dann die Umstellung von zwei bis drei Jahren, bis man die Produkte ökologisch vermarkten konnte und dann das Ganze zehn Jahre verfolgt. Wir haben den Bereich Pflanzenbau und Nährstoffflüsse analysiert. Es gab eine Gruppe Avifauna, eine Gruppe botanische Diversität, eine Gruppe faunistische Diversität, also sehr breit gestreut. Bei den beweglichen Arten wie Vögeln ging die Populationsentwicklung sehr schnell nach oben und erreichte bald eine stabile Größenordnung. Bei den Käfern haben wir über die Jahre immer noch eine weitere Erhöhung der Diversität auf diesen landwirtschaftlich genutzten Flächen beobachtet. Genau deshalb ist der extensiv bewirtschaftete Ökolandbau – ganz bewusst nicht zur Produktionsmaximierung – in einer Größenordnung von acht bis zehn Prozent der Fläche überall in Deutschland absolut geboten, um die Biotopvernetzung zu sichern und damit den Gen-Flow in Agrarlandschaften sicherzustellen.

Die Kehrseite der Biodiversität, des Wasserschutzes und vieler anderer positiver Effekte ist, dass die Produktivität natürlich deutlich niedriger ist.

An der Universität Wageningen bekleide ich eine Zusatz-Professur in Gras basierten Milcherzeugungssystemen mit dem Ziel, die Kühe wieder zu dem zu machen, was sie primär sind: Weidetiere.

Welche Ziele waren Ihnen bei Ihrer Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Die Ziele haben sich verändert. Ich bin aufgrund meiner Herkunft durch vergleichsweise intensive landwirtschaftliche Bodennutzung geprägt.

Allgemein waren in der Landwirtschaft damals zunehmende Spezialisierung und die daran angepasste Optimierung der Spritzfolgen im chemischen Pflanzenschutz der Standard bis hin zu langjährigen Selbstfolgen von Getreide und Mais und pflugloser Bodenbearbeitung mit Glyphosateinsatz. Das geht eine Zeit lang gut, solange die Pufferkapazität des Systems nicht überdehnt wird, aber die Konsequenzen sehen wir inzwischen deutlich. Das Resilienzkonzept, das wissenschaftlich im Naturschutz wie in der menschlichen Gesundheit eine große Rolle spielt und ursprünglich aus der Ökologie stammt, kann so auch für Pflanzenbausysteme angewandt werden.

Dank des wissenschaftlichen Austauschs über Disziplinen hinweg sind wir nun in der Lage, das Gedankengebäude der Resilienz intensiv in agrarische Produktionssysteme einzubetten. Resilienz bedeutet hinsichtlich der Umsetzung auf den Äckern eine ökologische Intensivierung mit Verzicht auf Maximalerträge. Die Umsetzung in die landwirtschaftliche Praxis erfolgt zwar teilweise, aber wir sehen auch Widerstände, den Weg hin zu resilienten Systemen im Sinne der notwendigen ökologischen Intensivierung zu beschreiten. Die schon in der Versenkung geglaubten Widerstände sind mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine gewachsen. Wir sehen leider einen gewissen Rollback in der Agrar-Community: „Jetzt können wir endlich wieder loslegen und Nahrungsmittel für die Welt produzieren, statt Naturschutz zu betreiben.“ Von daher werden uns die Debatten über gute Landnutzung und die Relevanz von Naturschutz für funktionierende Agrarlandschaften noch eine Zeitlang begleiten.

Was würden Sie als Ihren größten Erfolg in Sachen Naturschutz in der Landwirtschaft bezeichnen und warum?

Als Erfolg sehe ich, dass ich eine wunderbare Forschungsgruppe um mich herum bauen konnte, die als Multiplikator in die Gesellschaft wirkt.

Ich verstehe mich als Agronom, der notwendige Debatten anstößt. Ich habe Gutachten für die Wasserwirtschaft geschrieben, dahingehend, dass die aktuelle Düngegesetzgebung bei Weitem nicht ausreicht, um Wasser und Natur ausreichend zu schützen. Auch, dass es in einem Projekt des Verbandes der Deutschen Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalten (VDLUFA) für die Absenkung der Phosphor-Gehaltsklassen gemeinsam mit Kollegen gelungen ist, gegen viele Widerstände neue Standards zu setzen, ist befriedigend. Phosphor ist ein sehr knappes Gut. Wir können es uns nicht leisten, Phosphor wie Abfall zu behandeln. Das geschafft zu haben, immer zusammen mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern – das war gut!.

Alles andere war ein großes Geschenk: fantastische junge Leute, deren akademischen Werdegang ich unterstützen und begleiten durfte – von mir wurden über 50 Doktoranden promoviert. Flache Hierarchien in alle Richtungen zu organisieren und selbst ein liberales akademisches Leben wahrhaft leben zu können, das ist Luxus.

Und letzten Endes gibt es kein größeres Lob, als wenn die eigenen Leute ‘wie warme Semmeln‘ auf anspruchsvollen Arbeitsmärkten weggehen. Drei meiner Top-Postdocs, die Doktores Thorsten Reinsch, Carsten Malisch und Arne Poyda, die ich eigentlich sehr gerne noch bis zum Ruhestand in meiner Mannschaft halten wollte, bekamen Angebote von anderen Universitäten bzw. von Ministerien in Schleswig-Holstein, sodass sie nun dort erfolgreich ihren Weg gehen mit unserem Gedankengut!

Wann ist Ihnen der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

In der Forschung direkt vor mehr als 25 Jahren. Wir wissen seit sehr langer Zeit, dass Grasland eine zentrale Bedeutung in Bezug auf Klimaschutz hat. Zwei Drittel der nutzbaren landwirtschaftlichen Fläche weltweit ist Grasland. Überwiegend Steppen, Savannen und andere sehr extensiv genutzte Formen. Die wichtigste Funktion von Grasland neben der Bereitstellung von Futter für die tierische Veredlung ist die Kohlenstoffspeicherung. Wir haben gigantische Kohlenstoffmengen unter Grasland, mehr als unter Wäldern. Von daher war bei dem Aspekt Landnutzungswandel, vor allem bei den Grünlandumbrüchen zu Ackerland, die in den 1990er-Jahren massiv zugenommen haben, das Thema Klimaschutz immer mit dabei.

Haben Sie Klimaschutzaspekte bei Ihrer Arbeit aktiv mit einbezogen?

Wir waren die ersten, die vor 15 Jahren, gefördert vom Landwirtschaftsministerium des Landes, das Projekt Moor-Klima-Milch durchgeführt haben. Damals hatte ich auch die ersten Kontakte mit Dr. Walter Hemmerling von der Stiftung Naturschutz. In der Eider-Treene-Sorge-Niederung haben wir seinerzeit vier Modellflächen ausgewählt. Eine Kontrollfläche mit hohen Grundwasserständen, die seit 20 Jahren unter Naturschutz stand, also nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wurde, sondern nur noch mit einem Pflegeschnitt pro Jahr. Und im Vergleich dazu unterschiedliche Grundwasserflurabstände mit extensiver Grünlandnutzung, normal intensiver Grünlandnutzung und dem Worst-Case-Szenario Grünlandumbruch und Maisanbau.

Das Projekt haben wir 2012 und 2013 durchgeführt. Die Ergebnisse wurden international sehr hochrangig publiziert, weil wir Techniken eingesetzt haben, die ich 2001 während meines Forschungssemesters in den USA kennengelernt hatte. Ich war dort an der Penn State University in Pennsylvania, State College. Die dortigen Kollegen hatten die Treibhausgasinventuren für die USA aufgestellt. Als ich zurückkam, wusste ich, dass wir auch in diese Richtung gehen müssen. 1997/98 haben wir in dem N-Projekt Karkendamm angefangen, Treibhausgasemissionen auf Geeststandorten zu messen und den CO2-Fußabdruck der Futterbausysteme abzubilden.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, ihrer Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Bei den Lindhof-Projekten haben wir den Ansatz, dass wir am Beispiel Milcherzeugung im Gemischtbetrieb erforschen und dokumentieren wollen, wie alle relevanten Ökosystemdienstleistungen gleichermaßen erfüllt werden können: relativ hohe (nicht maximale) Milcherträge, Wasserschutz, Schutz der Biodiversität, Klimaschutz und Tierwohl. Es hängt alles miteinander zusammen, immer verbunden mit Stickstoff bei allen Zielgrößen. Die regulatorische Eindämmung von Stickstoffüberschüssen ist der zentrale Schlüssel für alles. Mit dem Kleegras-System sind Synergien gewährleistet. Das ist über die letzten zehn Jahre unsere Agenda gewesen. Und ja, wir können mit diesem Projekt zeigen, dass der ‚Carbon footprint‘ unserer Milch im Supermarkt nicht höher ist als z.B. der einer Hafer-‚Milch‘.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Es kommt immer auf das Niveau des Klimaschutzes und das Niveau des Naturschutzes an. Von daher ist dies schwer zu sagen. Der Lindhof ist das Beispiel, wo wir bei hoher landwirtschaftlicher Produktion zusätzlich Wasserschutz, Klimaschutz, Naturschutz angedockt haben, umgekehrt haben wir – wie oben ausgeführt den Schwerpunkt Naturschutz im Ritzerau-Projekt erfolgreich bearbeitet.

Die spannende Frage ist jetzt im laufenden Moor-Projekt ‚Klima-Farm‘: Wie können wir, wenn Naturschutz und Klimaschutz gemeinsam vorne stehen, zusätzlich eine weitere Wertschöpfung generieren?

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

Wissenschaft hat wunderbare Freiheitsgrade, sie denkt Dinge vor, die heute noch gar nicht von der Breite gesehen bzw. akzeptiert werden müssen. So ist es vollkommen normal, dass erst einmal aus Routinen und Traditionen heraus Beharrungskräfte freigesetzt werden. „Gar nicht funktioniert“ ist vielleicht die falsche Kategorie. Ich würde eher fragen: „In welchen Bereichen dauert es zu lange und wie können wir beschleunigen und vor allem dabei die betroffenen Akteure positiv mitnehmen?“

Wir haben Standorte, die aus Sicht der Ökologie unberechtigterweise von Grünland in Acker umgewandelt worden sind. Wir wissen, dass Grünland als Habitat für den Naturschutz von großer Bedeutung und die Neuanlage von Grünland extrem wichtig für die Kohlenstoffspeicherung ist. Jetzt ist es somit geboten, zu analysieren, wo und wie Grünland für den Klima- und Naturschutz wieder neu angelegt werden kann und den Landwirten etwas anzubieten: „Lege deine 30 Hektar Maisacker wieder zurück in Grünland, dann darfst du auf 15 Prozent dieser 30 Hektar Freiflächen-PV oder auf der Hälfte Agri-PV einsetzen. Du kannst zwischen den Kollektoren weiter ernten, aber auf 50 Prozent der Fläche ohne Mineraldüngung und ohne Pflanzenschutz. Da kannst du beispielsweise extensive Schafbeweidung durchführen.“ Solche Angebote mit Landnutzern für Win-win-Lösungen auszuhandeln, darum muss es vermehrt gehen, um voranzukommen – wer dann allerdings auch nach einer Übergangszeit immer noch nicht mitmachen will, dem müssen dann auch unmissverständlich die Wege des Ordnungsrechts aufgezeigt werden.

Es gibt entsprechende Vorlagen aus den Niederlanden, wo über einen Ökosystem-Manager sicherstellt wird, dass so etwas funktioniert. Es können dafür Genossenschaften o.ä. gegründet werden, die die Interessen der Landnutzer mit denen des Natur- und Klimaschutzes abstimmen und den Aushandelsprozess bündeln.

Wir wissen, dass von den gut 130.000 Hektar organischen Böden (Anmoor und Moor), die wir in Schleswig-Holstein haben, 60.- bis 70.000 durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) und anderes geblockt sind. Aber es sind ca. 40.000 Hektar verfügbar, wo man mit diesen Aushandlungsprozessen starten sollte. Das ist im Interesse des Naturschutzes!

Gibt es, wenn Sie auf einzelne Projekte zurückblicken, Dinge, die Sie heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würden?

Ja.

Im Bereich Dauergrünlandnutzung haben wir auf der Geest vor 30 Jahren aus der primären Perspektive des Wasserschutzes eher für die Schnittnutzung plädiert und somit indirekt für die ganzjährige Stallhaltung, weil so Nitratausträge bei hohen Ertragsleistungen minimiert werden konnten. Heute wissen wir, dass Mähweidesysteme die bessere Lösung für die umfängliche Erfüllung der Ökosystemdienstleistungen darstellen – auch Wissenschaft ist nicht vor Irrtümern gefeit.

Parallel gab es zu jener Zeit um 1997 eine Arbeitsgruppe mit den Kollegen der Tierernährung und mit der Landwirtschaftskammer, in der die Frage formuliert wurde: „Warum stellen wir nicht wie in Dänemark die Geest komplett auf Ökolandbau um?“ Bis auf die Stiftung Naturschutz gab es seinerzeit nämlich niemanden, der im Moor und auf armen Geestböden landwirtschaftliche Flächen nachfragte. Die Landwirte konnten durch technischen Fortschritt mit immer weniger Tieren die Milch erzeugen, die sie im Rahmen der Quotenregelung erzeugen durften. Damals stand das Fenster für großflächige Ökologie weit offen, das hätten wir noch intensiver nutzen können. Es wird heute leider von vielen Akteuren im Agrarsektor vergessen, dass sie damals selig waren, dass es die Stiftung Naturschutz gab, weil sie die einzige Bieterin für landwirtschaftliche Flächen war – heute sieht man das leider häufig anders.

Wie sieht für Sie erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo sehen Sie die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur- und Klimaschutz?

In Abhängigkeit von den Landschaftsräumen und vom agrarischen Produktionspotenzial wird man die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen berücksichtigen müssen. Unabhängig davon müssen wir auf Basis wissenschaftlicher Evidenz feststellen, dass auch auf Hochertragsstandorten mindestens zehn Prozent der Fläche Vorrangfläche für den Naturschutz sein muss. Das kann man zum Teil über Ökolandbau, aber auch über andere Maßnahmen umsetzen. Je stärker wir in den Bereich von weniger ausgeprägten Gunststandorten kommen wie z.B. in Brandenburg, lohnt es sich, extensiven Naturschutz mit zu vermarkten.

Die Emission einer Tonne CO2-Äquivalente kostet 2030 in der Industrie voraussichtlich 200 Euro. Milchproduktion wird sich daher auf vielen organischen Böden nicht mehr lange darstellen lassen, so sehr ich das Traditionsbewusstsein und das routinierte Handeln der Landwirte respektiere. Man muss sich darauf einrichten, dass Landwirte in den Mooren alternative Einkommensquellen finden. Diese alternativen Einkommensquellen untersuchen die Kollegen in dem Projekt „Klima-Farm“ gemeinsam mit der Stiftung Naturschutz. Das ist ein spannendes Projekt. Wir haben dafür über zwölf Millionen Euro Forschungs- und Fördermittel nach Schleswig-Holstein geholt. Ich rate dem Naturschutz ganz generell, dort und bei ähnlichen Ansätzen intensiv mitzuarbeiten und das groß zu denken.

Welche Ziele und Herangehensweisen halten Sie in diesem Zusammenhang für realistisch?

In einem Interview für Agra Europe habe ich kürzlich gesagt: Wenn die gesellschaftliche Akzeptanz der Milchviehhaltung nicht noch viel mehr leiden soll als die der Schweinehaltung, weil Milchviehhaltung von vielen Verbrauchern immer noch mit Weide in Zusammenhang gebracht wird, dann müssen die verantwortlichen Akteure, also die Landwirte und die Organisationen, jetzt damit beginnen, eine Parallelwelt der Milcherzeugung aufzubauen. Wir nennen das „grüne Milch“: Grünlandweide, wenig Konzentratfutter, dafür Biodiversität.

Das zusammenzudenken, ist meines Erachtens auch die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Spätestens ab 2028 muss man sagen: Wenn ihr Milchpulver für die Welt mit 12.000 Kühen im Stall und Mais machen wollt, tut es. Haltet euch an die Gesetze, aber es gibt keinen Euro zusätzlich. Die knapper werdenden GAP-Mittel müssen dann dahin fließen, wo die Ökosystemdienstleistungen erbracht werden. Es gibt Modelle wie die vom DVL entwickelte Gemeinwohl-Prämie. Dabei sind Nährstoffbilanzen mit berücksichtigt. Die Ökopunkte kombinieren Wasserschutz, Klimaschutz, Biodiversität. Jeder Betrieb kann Ökopunkte sammeln und nur wer ausreichend Ökopunkte hat, kommt in das Prämien-System. Wer nur gesetzestreu ist, nicht.

Es muss Mehrwert generiert werden. Damit kann jeder Verbraucher erkennen, welche Produkterzeugung einen erhöhten Standard gewährleistet. Und jeder Landwirt kann sowohl seinen Berufskollegen als auch den NGO’s mit Stolz zeigen, wie gut er ist. Das wird ‚positiven Druck‘ auf die weniger gut wirtschaftenden Betriebe auslösen.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Da geht der Rat an die Herleitung politischer Entscheidungen: Das gilt für den Bereich Automobilindustrie, für den Bereich Banken, aber eben auch für den Bereich Landwirtschaft: Die Politik ist viel zu stark lobby- und nicht wissenschaftsgetrieben und das muss sich ändern. Wir brauchen Politiker, die sich davon lösen, das zu machen, was ein Bauernverband gern möchte oder ein Chef vom Raiffeisenverband als notwendig beschreibt. Sie müssen sich deutlich stärker auf UNABHÄNGIGE wissenschaftliche Expertise berufen.

Und ich möchte auf eine Schwäche unseres Hochschulsystems in diesem Zusammenhang hinweisen, unter der auch der Naturschutz im Land Schleswig-Holstein mit der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) leidet. Auch hier werden die Akteure, die Professorinnen und Professoren, im Wesentlichen daran gemessen, was sie an wissenschaftlichem Output aufweisen, an Drittmitteln, an „Exzellenz“ und wissenschaftlichen Publikationen. Wenn Hirsch-Faktor und Impact-Faktor der Journale die primären Anreizsysteme sind, ist es dem einzelnen Wissenschaftler nicht zu verdenken, als erstes zu schauen, wo die Forschungsmittel generiert werden können, und zweitens, wie die Ergebnisse in einer kleinsten publizierbaren Einheit publiziert werden können, um die Anzahl der Publikationen zu steigern. Was wir als Landesuniversität aber auch brauchen, nämlich den Blick auf das Interesse des Landes in der Fläche zu richten und sich dafür angemessen Zeit in der täglichen Arbeit zu nehmen, das ist dann nicht mehr möglich. Diskurse anzustoßen und sich mit gesellschaftlichen Gruppen über gute Landwirtschaft im Lande auseinanderzusetzen, kann man sich leisten, wenn man 60 Jahre alt ist und niemandem mehr etwas beweisen muss. Vorher ist das den meisten Kolleginnen und Kollegen zumeist nicht möglich und das wird dem Auftrag einer Universität meines Erachtens nicht ausreichend gerecht.