Stiftung Naturschutz

„Natur- und Umweltschutz als Lebensaufgabe“

Interview mit Prof. Dr. Holger Gerth am 03.03.2023 in Schellhorn

Vita

Geboren bin ich 1949 und auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Ruhwinkel, Ortsteil Schönböken im Süden vom Kreis Plön aufgewachsen. Auf dem Hof hatten wir Kühe, Schweine, Pferde, Hühner, Enten und Gänse. Auf den Feldern wurden Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln und Rüben in einer vielfältigen Fruchtfolge angebaut, Es wurde von meinem Vater noch eine nachhaltige Landwirtschaft mit wenig Dünger und Pflanzenschutzmitteln betrieben.
Nach dem Abitur habe ich in Kiel an der Christian-Albrechts-Universität Landwirtschaft und parallel Jura studiert. Statt einen Jura-Abschluss zu machen, habe ich mich auf eine Promotion in der Agrarökologie konzentriert. Nach der Promotion hatte ich mit dem Referendardienst begonnen, den ich aber abgebrochen habe, als ich in der Landwirtschaftskammer das Referat für Naturschutz und Landschaftspflege übernehmen konnte, das 1979 neu eingerichtet wurde.

Ende der 1980er-Jahre habe ich in der Landwirtschaftskammer die Umweltabteilung aufgebaut. Nebenamtlich war ich rund zehn Jahre als Geschäftsführer für den Landesverband der Wasser- und Bodenverbände tätig. Innerhalb der Landwirtschaftskammer habe ich deren Tochtergesellschaft, die Landwirtschaftliche Dienstleistungsgesellschaft mit aufgebaut. 2006 bin ich aus persönlichen Gründen aus der Landwirtschaftskammer ausgeschieden und in Altersteilzeit gegangen.

Die Fachhochschule Kiel bot mir einen Lehrauftrag für den Bereich Natur- und Umwelt­schutz im Fachbereich Agrarwirtschaft in Rendsburg an. Ein paar Jahre später wurde ich zum Honorarprofessor ernannt. Ich habe zahlreiche Bachelor- und Masterarbeiten zum Teil auch im Zusammenwirken mit der Uni Kiel betreut. Während der Corona-Pandemie habe ich mit der Lehre aufgehört, denn per Video war die Qualität meiner Vorlesungen nicht zu halten.

Seit 2006 vertrete ich im Präsidium des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes (SHHB) den Bereich Natur- und Umweltschutz.

In den 1980er- und 1990er-Jahren war ich zwölf Jahre Dorfbürgermeister in unserem Dorf Ruhwinkel im Kreis Plön. Vor 40 Jahren haben wir in unserer Gemeinde einen Natur­schutzverein gegründet, dessen Vorsitz ich übernommen habe. Wir betreuen das Naturschutzgebiet Fuhlensee und Umgebung.

Nachdem mein Vater in Ruhestand ging, habe ich den landwirtschaftlichen Betrieb mit intensiver Schweinehaltung im Nebenerwerb weitergeführt und auf einen Pferdepensionsbetrieb umgestellt. Unser Sohn hat den Betrieb 2009 übernommen und führt diesen als Pferdepensionshof weiter.

Seit 2011 bin ich Landesbeauftragter für Naturschutz in Schleswig-Holstein, was ein Ehrenamt ist.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst?

Das geht auf Prof. Norbert Knauer zurück. Ich besuchte im Agrarstudium seine Vorlesung Landschaftsökologie und habe später bei ihm mit einem Thema zu unterschiedlichen Landschaftspflegeverfahren auf Moorböden in der Eider-Treene-Sorge-Niederung promoviert.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten,auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Beschreibe kurz die Aufgaben deiner Wirkungsstätten. Was hast du dort konkret gemacht?

Als Referent für Naturschutzfragen bin ich bei der Landwirtschaftskammer in die Abteilung gekommen, die sich mit vorbereitenden Arbeiten in Form von agrarstrukturellen Vorplanungen für Flurbereinigungsverfahren befasste. Als mein Abteilungsleiter Ende der 1980er-Jahre in den Ruhestand ging, habe ich die Abteilung übernommen und zur Umweltschutzabteilung umgebaut.

Die Aufgabe des Abteilungsleiters war seinerzeit noch nebenamtlich mit der Geschäfts­führung für den Landesverband der Wasser- und Bodenverbände, der damals Landeskulturverband hieß, verbunden. Ich habe mich folglich intensiv mit Fragen der Wasserwirtschaft befasst. Der Landesverband der Wasser- und Bodenverbände war in erster Linie als Revisionsverband tätig, der anstelle des Landesrechnungshofes die öffentlichen Zuschüsse kontrolliert und überprüft hat. Ende der 1980er-Jahre habe ich einen Biologen eingestellt, damit die Wasser- und Bodenverbände sich auch den Naturschutzfragen stellen können. Neben dem Aufgabenschwerpunkt der Entwässerung ging es zudem um Fragen der nachhaltigen Gewässerunterhaltung, Wasserhaltung und der Moorrenaturierung.

In meiner Nebentätigkeit für die Landwirtschaftliche Dienstleistungsgesellschaft, einer Tochtergesellschaft der Kammer, bestand die Hauptaufgabe in der Erstellung von Landschaftsplänen für ländliche Gemeinden. Dafür wurden Biologen und Landschafts­planer eingestellt. Seinerzeit mussten für strukturelle Maßnahmen die Flächennutzungs­pläne angepasst und vorausgehend Landschaftspläne erstellt werden. Wir haben u.a. auch landschaftspflegerische Begleitpläne für Windparke und Gewässerpflegepläne für Wasser- und Bodenverbände erarbeitet. Zum Aufgabenprofil der Landwirtschaftlichen Dienstleistungsgesellschaft gehörte zudem die Erstellung von ländlichen Struktur- und Entwicklungsanalysen für Kommunen. Zudem haben wir uns mit Umweltmanagement­systemen wie beispielsweise EMAS befasst und auf landwirtschaftlichen Betrieben getestet.

An der Fachhochschule Kiel, FB Agrarwirtschaft habe ich vielfältige Themen zum Naturschutz sowie Umweltschutz angeboten. Meine Vorlesungen haben u.a. kritische Themen wie Klärschlammverwertung im Landbau, Gewässerschutz sowie die Natur­schutzthemen Wolfsmanagement, die Problematik mit Wildgänsen oder den Umgang mit dem Jakobskreuzkraut einbezogen.

Während der Zeit als Dorfbürgermeister in Ruhwinkel in den 1990er-Jahren habe ich mich für die örtliche Landschaftsplanung und Begrünung der Gemeinde eingesetzt. Der damals gegründete Naturschutzverein existiert unverändert bei uns im Dorf. Wir betreuen eine Orchideenwiese, die einmal im Jahr gemäht und das Mähgut entfernt wird. Wir arbeiten dabei eng mit Landwirten zusammen. Der Naturschutzverein engagiert sich seit zwei Jahren auch für die Kitz-Rettung. Dafür haben wir eine Drohne über Bingo finanziert angeschafft, um mit der Wärmebildkamera Kitze zu identifizieren. Im Naturschutzverein nehmen wir uns jährlich bestimmte Themen vor und machen entsprechende Exkursionen. In diesem Jahr geht es auch um Gewässerrenaturierung.

Im Schleswig-Holsteinischen Heimatbund (SHHB) vertrete ich den Naturschutz. Im Jahr 2009 habe ich erstmalig mit dem Bauernverband und von BINGO finanziert einen Knick-Wettbewerb durchgeführt. Diesen haben wir 2016 wiederholt. Indem wir gut gepflegte Knicks in den Mittelpunkt stellen konnten, haben wir Vorbilder geschaffen. Der SHHB steht für einen kooperativen und weniger konfrontativen Naturschutz. Ein weiterer Schwerpunkt in der Arbeit des SHHB ist die Förderung der Insektenvielfalt. Hierzu wurde gemeinsam mit dem Imkerverband, der Stiftung Naturschutz und dem Landesamt für Umwelt ein Insektenlehrpfad entwickelt, der u.a. für den Imkerverein Kellinghusen vorbereitet wird. Geplant ist weiterhin ein Wettbewerb zum Thema naturnaher und insektenfreundlicher Garten.

Als Landesnaturschutzbeauftragter wurde ich 2011 von Umweltministerin Dr. Juliane Rumpf für fünf Jahre berufen. Es folgten zwei fünfjährige Verlängerungen. Als Landes­naturschutzbeauftragter wirke ich als Bindeglied zwischen den Bürgern und dem Landesamt für Umwelt des Landes Schleswig-Holstein bzw. dem Ministerium. Wenn Bürgeranfragen zu örtlichen Begebenheiten kommen, reiche ich diese überwiegend an die Kreisnaturschutzbeauftragten weiter, zu denen ich einen engen Kontakt pflege.

In meiner Funktion als Landesnaturschutzbeauftragter gehöre ich dem Rat der Stiftung Naturschutz an. Zudem habe ich auch den Vorsitz des Rates in der Nationalparkstiftung übernommen. Hier werden Projekte zum Schutz des Wattenmeeres gefördert. Das Kapital kommt aus Hamburg im Zusammenhang von Baggergut aus dem Hamburger Hafen, das vor Helgoland verklappt wird.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Das Programm Nord hatte viel Einfluss auf meine Arbeit bei der Landwirtschaftskammer sowie bei den Wasser- und Bodenverbänden genommen. Durch das Programm Nord wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren viele Gewässer abgesenkt, es wurden Schöpfwerke gebaut und damit die Entwässerung von landwirtschaftlichen und kommunalen Flächen gefördert. Das war damals politisch gewollt und öffentlich finanziert, um die Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten sowie um landwirtschaftliche Existenzen zu gründen. Die Umkehr zu mehr Naturschutz zu schaffen, war nicht leicht. Klimaschutz spielte damals noch gar keine Rolle.

Das Eider-Treene-Sorge-Programm, das Ende der 1980er-Jahre startete, hat ebenfalls meine Arbeit beeinflusst. Als Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer haben wir eine Studie über die Betroffenheit der Landwirte durch den zunehmenden Naturschutz gemacht. Damals kam die Frage auf, wie die Landwirte sich darauf einstellen und ihre Existenz sichern können.

Aktuell befasse ich mich mit dem Thema Photovoltaik. Agri-Photovoltaik wird derzeit über ein Projekt von den NaturFreunden Schleswig-Holsteins forciert. Dieses Projekt begleite ich unterstützend und befasse mich mit der Thematik, ob Agri-PV in der Eider-Treene-Sorge-Niederung zur Existenzsicherung der landwirtschaftlichen Betriebe und zur Unterstützung des biologischen Klimaschutzes beitragen kann.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Mein Ziel heißt, die Menschen vor Ort mitzunehmen, Naturschutz mit der Bevölkerung und möglichst mit den Landwirten umzusetzen. Dieses Ziel verfolge ich unverändert, auch wenn dazu oft viel Überzeugungsarbeit notwendig ist.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen und warum?

Für mich ist es schon ein Erfolg, Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen. Dieses ist beispielsweise bei den bereits oben genannten Wettbewerben zum bestgepflegten Knick des SHHB gelungen, für die in einer Jury Vertreter des Naturschutzes und der Landwirtschaft mitgewirkt haben. Über den SHHB haben wir zudem erreicht, dass die traditionelle Knickpflege in Form des Auf-den-Stock-Setzens als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt wurde und der Landwirt Heiner Staggen nunmehr als Knickbotschafter seine Berufskollegen berät.

Als Landesnaturschutzbeauftragter habe ich eine Arbeitsgruppe zum Thema Knickpflege gebildet, in der Vertreter der Landwirtschaft und des Naturschutzes gemeinsam Grundlagen zur Knickpflege erarbeitet haben. Dies war bereits vor zehn Jahren der Fall und wird aktuell wieder umgesetzt.

Wann ist dir der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

Auf ministerieller Ebene gab es 2011 einen Klimarat, dem ich als Landesnaturschutz­beauftragter angehörte. In diesem Gremium wurde das Thema Klimaschutz intensiv beraten.

Vor rund 20 Jahren wurde das Thema Biogas als Beitrag zum Klimaschutz auf Bundes- und Landesebene forciert. Als Landesnaturschutzbeauftragter habe ich mich vor zwölf Jahren intensiv mit der Nachhaltigkeit von Biogas im Sinne des Klimaschutzes befasst und eine landesweite Initiative gestartet.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv mit einbezogen? Beschreibe kurz, wo und wann dir das mit welchen Maßnahmen gelungen ist.

Als ich mich 1976 in meiner Promotion mit Landschaftspflegemaßnahmen befasst habe, war Klimaschutz noch kein Thema.

Aktuell befasse ich mich mit dem Thema der Auswirkungen von Freiland-Photovoltaik auf die Artenvielfalt und trage Fakten zur Naturschutzverträglichkeit dieser Anlagen zusammen.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Die Moorrenaturierung diente vor Jahren vor allem der Biodiversität. Durch Anhebung der Wasserstände in Mooren wird gleichermaßen der Klimaschutz verbessert.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Der „Biologische Klimaschutz“ ist das beste Beispiel. Mit diesem Thema befasst sich die Stiftung Naturschutz intensiv und wird auf ihrer Klimafarm in Erfde über Verwertungswege von Pflanzenmaterial von vernässten Moorflächen praktische Erfahrungen sammeln.

Mit dem Umweltbeauftragten der Hamburger Firma Jungheinrich wird derzeit ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Stiftung Naturschutz, der Christian-Albrechts-Universität und der Fachhochschule Kiel mit dem Ziel vorbereitet, Verpackungsmaterial auf der Grundlage von Paludikulturen herzustellen. Hierzu läuft ein Antrag auf Finanzierung bei der Deutschen Bundesumweltstiftung (DBU).

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

Wenn politische Vorgaben überwiegen, sind fachliche Gegenargumente unerwünscht und werden ignoriert. Dieses konnte man feststellen beim Thema Biogas zu Beginn meiner Zeit als Landesnaturschutzbeauftragter.

Gibt es, wenn du auf die einzelnen Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Beim Programm Nord hätte man gegen die Entwässerungen der Moorflächen viel früher angehen müssen. Aber damals waren die Kenntnisse zum Klimaschutz noch nicht vermittelt und der politische Wille bestand auf Intensivierung der Landwirtschaft.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens?

Naturschutz und Klimaschutz müssen zusammen gedacht werden und die Menschen vor Ort einbezogen und mitgenommen werden. Beim Wiesenvogelschutz können Konflikte zum Klimaschutz auftreten. Paludikulturen verdrängen Wiesenvögel wie beispielsweise Uferschnepfe und Brachvögel und fördern dagegen Schilfbrüter. Freiland-Photovoltaik­anlagen auf vernässten Moorflächen als Einkommensalternative für Landwirte sind auch kritisch zu sehen und bedürfen weiterer Prüfungen.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Im Moorschutz sollten die Landwirte einbezogen werden. Deswegen ist es gut, dass die Stiftung Naturschutz auf ihrer Klimafarm mit Landwirten an Alternativen zur bisherigen landwirtschaftlichen Nutzung von Moorflächen arbeitet.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Der Staat sollte nur dann mit Verordnungen und Verboten arbeiten, wo freiwillige Maßnah­men gescheitert sind. Klimaschutz mit den Flächeneigentümern umzusetzen, ist effektiv und nachhaltig.