Stiftung Naturschutz

„Wir müssen in die angewandte Forschung investieren“

Interview mit Prof. Dr. Joachim Schrautzer am 13.01.2023 in Schellhorn

Vita

Geboren bin ich in Husum vor 66 Jahren. Mein Studium habe ich in Kiel in den Fächern Biologie und Sport im Lehramtsstudiengang absolviert. Danach habe ich nebenbei als Privatmensch promoviert. Ich war vier Jahre im Sportverein MTV Itzehoe als Sporttrainer tätig. Nach der Promotion bin ich direkt für das Projekt Ökosystemforschung der Bornhöveder Seenkette als Arbeitsbereichsassistent angestellt worden. Ich habe zwölf Jahre in diesem Projekt gearbeitet. Danach wurde das Ökologiezentrum an der Universität Kiel gegründet, in dem ich bis 2009 Arbeitsbereichsleiter war. Nach der Auflösung des Ökologiezentrums habe ich die Abteilung Angewandte Ökologie übernommen und dort bis vor drei Monaten in der Angewandten Ökologie mit den Schwerpunkten Geobotanik, Grünland- und Moorökologie, Klimaforschung, Gewässerökologie geforscht, also alle aktuellen relevanten Umweltthemen überwiegend regional landesweit bearbeitet mit wissenschaftlichem Bezug zur nationalen Ebene und auch zur internationalen Ebene.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst, wann war das?

Kurz vor meiner Examensarbeit bin ich Anfang der 1980er-Jahre in den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eingetreten. Dort hat mich diese grüne Welle erfasst und wie viele andere meines Jahrgangs habe ich bei etlichen Aktionen mitgemacht. Ich hatte auch eine eigene Arbeitsgruppe im Kreis Steinburg geleitet mit dem Thema: Wie gestalten wir unsere Gärten naturnäher? Auch meine wissenschaftliche Abschlussarbeit der Ökologie, der Geobotanik bei Prof. Klaus Dierßen befasste sich mit einem Gebiet im Kreis Steinburg. Es ging darum, einen Autobahnbau noch einmal hinsichtlich des Vorkommens gefährdeter Ökosysteme zu überprüfen. Fachlich hat mich damals Werner Jansen, der heute noch die Arbeitsgruppe Botanik im Kreis Steinburg leitet, in der Vegetationskunde geschult. Das waren die Anfänge.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Was waren die Aufgaben deiner Wirkungsstätten? Was hast du dort konkret gemacht?

Alle meine Naturschutzaktivitäten neben der BUND-Tätigkeit, die ich bis zum Eintritt in mein Berufsleben ausgeübt habe, waren immer mit den Aktivitäten von Prof. Dierßen verknüpft, der damals auch Landesnaturschutzverbandsvorsitzender und erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Geobotanik war. Wir hatten jeden Montag einen Jour fixe in der Arbeitsgruppe, in die ich als Privatmensch eingebunden war. Dort wurden die Aufgaben verteilt, wer sich wo in Schleswig-Holstein gegen oder für etwas einsetzt. Nebenbei habe ich immer auf Hiwi-Basis gearbeitet. Die Finanzierung war damals schwierig. Aus rein naturschutzfachlichem Interesse habe ich damals zusammen mit Martin Lindner die Bordelumer und Langenhorner Heide kartiert. Auch habe ich ab und zu schon für das damalige Landesamt für Natur und Umwelt gearbeitet: Ich habe die Eider-Niederung von Molfsee bis Bordesholm kartiert und den Mönkeberger See bei Kiel bearbeitet. Das wurde immer intensiver und war alles verknüpft mit der privaten Tätigkeit an der Uni Kiel in der Abteilung von Klaus Dierßen.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Es fing in den 1980er-Jahren mit den sogenannten Biotop-Programmen im Agrarbereich an. Einem Vertragswerk, das das Land Schleswig-Holstein damals herausgegeben hat, um in der Landschaft die Biodiversität zu erhöhen. An Klimaschutz und Gewässerschutz hat man damals noch gar nicht gedacht. Das waren im klassischen Sinne die sogenannten Extensivierungsprogramme, die den Landwirten angeboten wurden. Das am schwierigsten zu akzeptierende Vertragsmuster war damals der Kleinseggen-Vertrag. Daneben gab es den Feuchtwiesen- und den Amphibien-Vertrag. Bei all diesen Verträgen konnte man die Flächen unter Auflagen weiter bewirtschaften. Düngezeitpunkt, Düngeintensität, Mahd-Zeitpunkt, Beweidungsbeginn spielten dabei eine Rolle.

Das gibt es als Vertragsnaturschutz heute noch. Wenn ihr mich fragt, was dabei herausgekommen ist: Wie vieles in Schleswig-Holstein, wenn es um die Umsetzung von Naturschutzprogrammen geht, hat man das nicht wirklich systematisch untersucht. Ab und zu gab es eine Diplomarbeit und auch mal eine Doktorarbeit, aber systematisches Monitoring wurde damals wie heute nicht durchgeführt. Deshalb kann man zum Ergebnis wenig sagen. Meine persönliche Einschätzung aufgrund der Akzeptanz der einzelnen Vertragsmuster: Vom teuersten Vertrag – dafür gab es 1.000 Mark für einen Hektar Kleinseggenrasen, der einmal im Jahr gemäht werden musste – gab es in Schleswig-Holstein pro Jahr nur circa zwei Verträge. Am meisten wurden die besser akzeptierten Amphibien-Verträge geschlossen. Insofern war dieses Vertragsnaturschutzprogramm für den botanischen Artenschutz von vergleichsweise wenig Erfolg gekrönt. Das hat dazu geführt, dass wir bis heute im Feuchtgrünland-Bereich einen Rückgang von artenreichen Ökosystemen feststellen.

Dann das Niedermoorprogramm, 1996 auf der Basis einer sogenannten LAWA-Studie der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser, ein bundesweites Projekt. Es war die Vorbereitung des Niedermoorprogramms in Schleswig-Holstein, das heute in das Moorschutzprogramm insgesamt eingegangen ist. Wir haben es an der Uni in drei Pilotprojektgebieten durchgeführt: im Ostermoor an der Westküste, in der Eider-Niederung zwischen Flintbek und Bordesholm und in der Pohnsdorfer Stauung nahe Preetz. Auf dieser Basis wurden Doktorarbeiten, also größere Arbeiten, durchgeführt, die dann letztlich zur Konzeption des Niedermoorprogramms beigetragen haben. Zusammen mit meinem Kollegen Dr. Winfried Kluge, der leider nicht mehr lebt, war ich verantwortlich für die Durchführung dieser botanischen, aber vor allen Dingen auch hydrologischen und hydrochemischen Arbeiten. Damals ging es bei dem Niedermoorprogramm in erster Linie darum, den Nährstoffrückhalt, primär den Stickstoffrückhalt in der Landschaft zu erhöhen. Am Programm war auch Dr. Michael Trepel beteiligt, der heute im MEKUN arbeitet. Gemeinsam haben wir die wissenschaftlichen Grundlagen für dieses Niedermoorprogramm gelegt. Von der wissenschaftlichen Seite aus würde ich das als sehr erfolgreich einstufen, von der Umsetzungsseite her war es – wie so vieles damals und heute – mit Schwierigkeiten verbunden. Wir hatten danach Studien. Beispielsweise hat sich Vera Breuer, jetzt in der Stiftung Naturschutz Flächenmanagerin, damals mit der Fragestellung beschäftigt: Wie viel Fläche wurde nach neun Jahren Niedermoorprogramm tatsächlich vernässt? Wir sind im Ergebnis bei ca. 1.000 Hektar gewesen. Das ist natürlich bei ca. 100.000 Hektar entwässerter Gesamtniedermoorfläche nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Im Rahmen des aktuellen Moorschutzprogramms betreibe ich unter anderem das Monitoring in der Lehmkuhlener Stauung bei Preetz, bei dem die Messgeräte gefördert wurden.

Wenn es um den Erfolg von Naturschutz in Schleswig-Holstein geht, hat man in den Hochmooren am meisten geschafft. Das sieht man an den Flächenbilanzen, die wir aktuell herausgegeben haben und noch veröffentlichen werden. Durch alle Aktivitäten, die sich mit der Vernässung und Renaturierung von Hochmooren seit den 1970er-Jahren auseinandergesetzt haben, sind circa 50 Prozent der Hochmoorflächen erfolgreich vernässt worden. Und Hochmoore sind immer noch im Fokus, es werden weiter Renaturierungen durchgeführt. Der Umsetzungserfolg ist groß, weil es große Flächen sind und viele Flächen gar nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden. Daher ist das Konfliktpotenzial geringer als bei intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen, wenngleich der monetäre Aufwand ungleich höher ist. Es ging und geht vergleichsweise leichter, Hochmoore zu vernässen, was auch mit einem ganz guten Erfolg für die Entwicklung der Lebensgemeinschaften einhergeht.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Nein, sie haben sich nicht verändert. Einzelne Ökosystemdienstleistungen, die wir verfolgt haben, haben sich in der Schwerpunktsetzung im Laufe der Jahrzehnte verlagert, aber wir haben immer das gesamte Ökosystem betrachtet. Es war immer mein Ziel, den Schutz und die Entwicklung von Ökosystemen zu betreiben. Aktuell ist natürlich der Klimaschutz im Vordergrund, aber wenn ich zum Beispiel Moore vernässe, ist gleichzeitig immer die Entwicklung der Lebensgemeinschaft im Fokus. Es heißt ja „biologischer“ Klimaschutz. Manchmal gibt es Konflikte, aber die hat man durch das europaweite Programm der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie ein wenig entschärft: Bestimmte Ökosysteme wie zum Beispiel offene, artenreiche Feuchtwiesen, nährstoffarme Niedermoorwiesen oder auch Heide-Ökosysteme, all diese artenreichen Offenland-Ökosysteme, die ein Relikt der ehemaligen extensiv genutzten Kulturlandschaft darstellen, müssen nach der Richtlinie über die Zeit einen gewissen Erhaltungszustand aufweisen.

Aktuell spielt die Funktion des Kohlenstoffspeichers von Mooren eine ganz entscheidende Rolle, mitgedacht sind aber immer auch alle anderen Ökosystemfunktionen.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen? Und warum?

Das Forschungs- und Umsetzungsprojekt im oberen Eidertal, genannt „Weidelandschaft Eidertal“, war sicherlich für mich als Projektleiter eines großen Bundesforschungsprojektes der größte Erfolg. Nach der sogenannten Heydemann-Zeit in den 1990er-Jahren, als einfach erst mal alles gekauft und gesichert wurde, hatte man hier den Ansatz, Gewässerschutz und Artenschutz miteinander zu verknüpfen und dabei auch die örtlichen Landwirte so mit ins Boot zu holen, dass eine gewisse Gemeinsamkeit entstand. Da gab es eine Aufbruchstimmung. Dort mitzuwirken und über jetzt 22 Jahre dieses Projekt zu begleiten, ist sicherlich der größte Erfolg. Das Projekt ist beispielhaft, weil es für eine erfolgreiche Umsetzung des Artenschutzes zusammen mit dem Gewässerschutz – es waren Gewässerschutz-Gelder der EU, die da investiert wurden – steht. Und dadurch, dass die Moore dort nasser werden, ist natürlich auch die Treibhausgas-Bilanz besser geworden.

Und ganz aktuell ist es mir gelungen, das Kleinwalsertal im Land Vorarlberg in Österreich zu einer Modellregion für die Umsetzung der österreichischen Moorschutz-Strategie zu gewinnen. Das ist gerade von der Landesregierung Vorarlberg beschlossen worden. Ein toller Erfolg – da ist es mir zum ersten Mal gelungen, ein ganzes Tal mit all seinen Stakeholdern vom Hotelgewerbe bis zum Tourismusverband über den Landschaftsschutzverband bis zu den Landwirten – bei letzteren noch mit Einschränkungen – zusammenzubringen.

Wann ist dir der Begriff „Klimaschutz“ zum ersten Mal begegnet?

1990 im Kontext von Klimaschutz in Bezug auf Moore. Walter Hemmerling hat mich mit einer kleinen dreiseitigen Publikation von Lenz et al. darauf aufmerksam gemacht und gesagt: „Achim, guck dir das mal an, das scheint interessant zu sein. Klimaschutz und Moorschutz sollen wir in Zukunft gemeinsam denken.“ Dass das jetzt erst nach 25 bis 30 Jahren aktuell ist, ist bedauerlich. Das waren die ersten Berührungspunkte, und dann natürlich im Kontext meiner Tätigkeiten im Ökosystem-Forschungsprojekt. In einem umfangreichen Heft unserer damaligen Publikationsreihe ECOSYSging es gemeinsam mit allen circa 150 Mitarbeiter:innen und Arbeitsgruppen darum, aus der jeweiligen Fachexpertise heraus die potenzielle Entwicklung der Systeme in Abhängigkeit vom drohenden Klimawandel zu untersuchen. Das war eine in die Zukunft gerichtete Arbeit. Ich würde sie mir jetzt nach über 30 Jahren gerne noch einmal angucken. Wir haben damals die Daten der Klimaperiode von 1960 bis 1990 vor Augen gehabt. Das Thema war da noch gar nicht so relevant, doch der Erwärmungstrend deutete sich statistisch an und wir sind gleich aktiv geworden. Das war Anfang der 1990er-Jahre.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv miteinbezogen? Beschreibe kurz, wo und wann dir das mit welchen Maßnahmen gelungen ist?

Ich bin primär in der Begleitforschung aktiv gewesen und bin es noch. Da haben wir in den letzten zehn bis 15 Jahren die Klimaschutzaspekte in unsere gesamtwissenschaftliche Konzeption, in Masterarbeiten und Diplomarbeiten integriert. Ein Beispiel sind unsere Aktivitäten über 17 Jahre im Ritzerau-Projekt, in dem wir zu den Auswirkungen der Umstellung auf ökologischen Landbau auf dem Gut Ritzerau, gefördert von Günther Fielmann, geforscht haben. Wir hatten dabei die Aufgabe, die an die Äcker angrenzende Duvenseebach-Niederung zu untersuchen. Die Ergebnisse gingen mit in die Forschung ein, die wir anschließend durchgeführt haben. Wir haben dort schon Spurengase gemessen, obwohl der Nährstoff-Rückhalt in der Niederung die Hauptfragestellung war. Das war eines dieser großen Projekte, in dem wir die Treibhausgasbilanzierung schon in den Vordergrund gestellt hatten. In den letzten vier, fünf Jahren haben wir uns verstärkt darum gekümmert. Aktuell arbeiten wir im nationalen Moorforschungsprojekt BewAMo zu landwirtschaftlich genutzten Mooren in Schleswig-Holstein, Brandenburg und Bayern, gefördert vom Bundeslandwirtschaftsministerium und landesweit im Projekt „Langfristige Entwicklung der Moore Schleswig-Holsteins unter den Gesichtspunkten des Klima- und Artenschutzes“ mit der Stiftung Naturschutzgeschichte.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

Im Wesentlichen sind es Projekte im Bereich der Feuchtgebiete und Moore. In der Vergangenheit wurde schon vieles in die Richtung entwickelt und mitgedacht, was sich erst in der nächsten Zeit manifestieren wird. Viele Aktivitäten, die wir in den letzten Jahrzehnten unter Artenschutz-Gesichtspunkten durchgeführt haben, werden jetzt verstärkt in Bezug auf ihre Effizienz im Klimaschutz bewertet und beurteilt werden. Ein Beispiel ist der Verlauf der oberen Treene, wo wir jetzt feststellen, dass die Maßnahmen, die dort mit Blick auf den Artenschutz durchgeführt wurden, bezüglich des Klimaschutzes nicht so erfolgreich waren. Man hat zwar den Wasserhaushalt im Auge gehabt, aber nicht so konsequent. Da ist man jetzt sicherlich geneigt nachzubessern und das Management gerade im Bereich von Flusstälern ein Stück weit zu erneuern, also stärker zu vernässen und neue Konzepte zu verfolgen. Man muss sich Gedanken machen, ob man in jedem Flusstal nach wie vor eine Weidelandschaft anstrebt und entsprechende Nutzungen durchführt oder ob man nicht andere Nutzungsformen zumindest partiell in Betracht zieht. Ich bin sehr für eine nicht zu einheitliche Nutzung im Naturschutz, weil das immer mit einem gewissen Risiko verbunden ist, wenn man nachher eventuell feststellen muss, diese Schiene war nun wirklich nicht die optimale. Ich begrüße den Erhalt der Artenvielfalt durch großflächige Beweidung als einen Aspekt, aber es gibt auch viele Flusstal-Abschnitte, wo man sagen kann: „Wasser Marsch! Alles nass, so weit es geht.“ Auch dass man an die Flussauen selbst herangeht, um die Biomasse zu gewinnen für alle möglichen alternativen Nutzungsformen, von Biogasgewinnung über Torfersatzprodukte, die aktuell politisch im Fokus sind, oder was man noch so alles aus Pflanzenmaterial machen kann. Thermische Energiegewinnung halte ich da nicht für sinnvoll, wird aber auch gemacht. Man wird in Zukunft die Konzepte den aktuellen Rahmenbedingungen anpassen müssen.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Wie schon erwähnt im Bereich der Hochmoore, weil dort der Druck, eine Pflegenutzung durchzuführen, entfällt. Da geht es primär um die Einstellung eines Wasserhaushaltes, der wieder Torfmoos-Wachstum ermöglicht.

Entscheidend sind die Ausgangsvoraussetzungen. Wenn ich wie im Königsmoor mit Intensivgrünland anfange, dauert es länger, wenn ich die Flächen vernässt habe. Auf der anderen Seite gibt es in ehemals nicht intensiv genutzten Flächen sehr gute Erfolge, wenn man den Wasserstand anhebt. Und da ist natürlich immer sofort eine Synergie zwischen Klimaschutz und Artenschutz. Da hat man eher das Problem: Wie halte ich das Wasser in den Flächen? Aber mittlerweile ist man technisch auch gut davor. Das Dosenmoor und das Königsmoor sind typische Beispiele dafür, dass man Flächen langfristig sichern kann und sie sich positiv entwickeln können. Schwierig wird es bei der Hochmoorentwicklung immer nur, wenn man keine Chance hat, den Wasserhaushalt großflächig zu beeinflussen. Und natürlich auch die Pufferzonen: also Intensivbewirtschaftung in der Umgebung mit entsprechenden Stickstoffeinträgen, die dazu führen, dass nicht die richtigen Torfmoose wachsen, die mit ihren morphologischen und physiologischen Eigenschaften den Hochmoortorf bilden können.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? – Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

An den Sachzwängen und auch an der Ausgestaltung von Programmen. Vieles, was in den letzten ein bis zwei Jahrzehnten großflächig umgesetzt worden ist, ist nicht konsequent unter Klimaschutzaspekten geschehen. Ein Beispiel sind die vielen Grünlandflächen der Stiftung Naturschutz, die unter anderem als Ökokontoflächen laufen. Dort die Vernässung so zu gestalten, dass auch der Moorschutz oder der Klimaschutz optimal profitieren, ist sicherlich auch von Sachzwängen beeinflusst. Wir leben in einem grundwassernahen und oberflächenwasserreichen Bundesland, da stehen wasser­rechtliche Rahmenbedingungen und Probleme den genannten Schutzzielen gegenüber.

Und es gibt auch divergierende Naturschutzinteressen. Ein Vogelkundler an der Westküste argumentiert natürlich im Sinne der Watvögel, die einen niedrigen Pflanzenwuchs brauchen, weil diese in Scharen lebenden Tiere sich gegenüber Prädatoren absichern wollen.

In den frühen 1990er-Jahren gab es in der Eider-Treene-Sorge-Niederung sehr große Konflikte zwischen den Interessen des botanischen Artenschutzes und des ornithologischen Artenschutzes. Und die Entomologen beschweren sich eigentlich immer, weil es zu aufwändig ist, alle kleinen Tierchen mit zu berücksichtigen. Aber auch diese Konflikte haben sich inzwischen sehr stark abgeschwächt. Oft entstehen doch Synergien zwischen botanischem Artenschutz und dem Vogelschutz. Das liegt aber auch daran, dass die botanische Artenvielfalt einfach katastrophal abgenommen hat. Auf vielen Flächen existiert eigentlich nur noch der Vogelschutz, und es lohnt sich nicht mehr, auf die Pflanzen zu schauen.

Gibt es, wenn du auf die einzelnen Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Bezogen auf die nasse Bewirtschaftung gerade in Flusstälern oder in großen Landschaftseinheiten würde ich stärker auf den Klimaschutz achten. Gelungen ist das ganz gut 1990/92 in der Pohnsdorfer Stauung. Ich war zu Anfang gar nicht dafür. Da wurden Flachwasserseen geschaffen, von denen man heute noch die Relikte sehen kann. Das war zuerst ein Vogelparadies, gar nicht unbedingt für Brutvögel, aber für Rastvögel, die aus Skandinavien kommen und eine Wasserfläche super toll finden, und dann sind alle Ornithologen in Gange.

Zwei Aspekte fanden wir damals gar nicht gut: Der Erlenbruch des Ostpolders der Pohnsdorfer Stauung starb durch die Vernässung flächendeckend ab. Das haben wir als ökologisch nicht sinnvoll eingestuft. Und ich hatte die Frage im Hinterkopf: Wie ist das mit den Methangas-Emissionen? Ich bin davon überzeugt, dass die Methangas-Austräge aus Westpolder und Mittelpolder, die zu großen Wasserflächen geworden sind, über lange Zeit zu einer katastrophalen Klimabilanz geführt haben. Man hätte das Wasser mehr managen müssen. Mittlerweile gibt es Publikationen, aktuell 2020 in der Zeitschrift Nature, die zeigen, dass man bei der Methanemission zwar einen sehr hohen Anfangspeak hat, aber nach neun bis zwölf Jahren zerfällt Methan wieder. Das ist immer das gleiche Niveau, während CO2 über die Jahrhunderte und Jahrtausende in der Atmosphäre akkumuliert. Insofern hat die Bedeutung des Methans nachgelassen. Aber zur Erhöhung der Akzeptanz hätte man den Wasserhaushalt damals vielleicht etwas anders gestalten können. Die Wissenschaft und wir alle müssen lernen, dass Ökosysteme sich auch selbst neu organisieren. Es gibt ganz frische, noch gar nicht publizierte Ergebnisse von meinem Kollegen Prof. Augustin in Müncheberg, der festgestellt hat, dass nach 15 Jahren Vernässung in dieser drastischen Form die Methangas-Austräge dramatisch zurückgehen, weil sich Schilfröhrichte angesiedelt haben. Das heißt, alle Argumente, die in Richtung Methanemissionen gehen, sind jetzt obsolet.

Der andere Aspekt ist, dass man Erfolg und Misserfolg immer nur mit einer Zeitachse beurteilen kann. Im Erlenbruch im Ostpolder haben sich aus den alten niederliegenden Stämmen neue Zweige entwickelt. Wir haben jetzt unter diesen nassen Bedingungen wieder einen 25 Meter hohen Erlenwald. Der Ökosystemforscher, der in Offenland und in Mooren arbeitet, muss wie der Förster den Zeitaspekt im Auge behalten, sowohl historisch – was ist da gewesen? – als auch mit Geduld auf die Zukunft gerichtet.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in der Zukunft aus? Und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur- und Klimaschutz?

Die Grenzen sind marginal, weil die Auflagen und die Verpflichtungen der Erhaltung für den botanischen Artenschutz eindeutig gegeben sind. In unserer Landschaft gehören, wenn man die artenreichen Moore außer Acht lässt, nur noch 0,6 Prozent der gesamten 160.000 Hektar zu den nährstoffarmen Ökosystemen auf Niedermoorstandorten. Das sind insgesamt 800 bis 900 Hektar in ganz Schleswig-Holstein. Das ist verdammt wenig.

Wenn man die mal beiseite lässt, dann gibt es in Zukunft, wenn wir am Wasserhaushalt etwas verändern, keine wirklichen Entwicklungskonflikte. Das größte Problem für uns ist über diese Frage hinausgehend, wie wir großflächig Natur- und Klimaschutz gemeinsam in der Fläche realisieren können. Da sind die sozialen bzw. gesellschaftlichen Aspekte, die natürlich mit ökonomischen Rahmenbedingungen zusammenhängen, die größten Hemmnisse, die wir in Zukunft zu bewältigen haben.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Ich bin noch pessimistisch. Die letzten drei Jahre haben mir gezeigt, dass es sehr, sehr unrealistisch ist, dass wir bis 2030 in Schleswig-Holstein die 65-Prozent-Reduktion tatsächlich erreichen, wenn die Entwicklung so weitergeht, Wir haben Bereiche, wo es eigentlich sehr schnell gehen könnte, zum Beispiel in Waldmooren. Gerade dort kann dieses riesige Umsetzungspotenzial nur dann realisiert werden, wenn die wissenschaftlichen Grundlagen dafür zur Verfügung stehen. Da hat man über die letzten 20, 25 Jahre in Deutschland geschlafen. Jetzt versucht man, möglichst schnell nachzubessern, wie an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Man baut Messstationen, man macht ein bundesweites Monitoring – aber bis man diese Ergebnisse als Basis für entsprechende Treibhausgas-Emissionsstandards hat, wird es wieder zwei bis drei Jahre dauern. Dann haben wir schon 2025/2026, und bis 2030 ist es dann nicht mehr weit. Ich sage mal ganz plakativ: Der natürliche Klimaschutz wird in Schleswig-Holstein scheitern, wenn wir nicht auch effektiv in angewandte Forschung investieren. Das ist natürlich aus meiner Sicht naheliegend, aber es geht nicht nur um die Klimaschutzaspekte, sondern auch um die Biodiversitätsaspekte. Man unterschätzt in Schleswig-Holstein die Innovationskraft der Forschung und wie notwendig sie ist. Wir haben über Jahrzehnte darum gekämpft, dass Gelder für den Naturschutz zur Verfügung stehen. Jetzt haben wir das Landesprogramm „Biologischer Klimaschutz“. Wir haben private Investoren, die Schlange stehen und gerne in der Landschaft etwas für den Klimaschutz tun wollen. Wir haben demnächst das bundesweite Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“. Es werden zig Millionen und Milliarden in den nächsten fünf bis zehn Jahren zur Verfügung stehen. Aber bei allen Bestrebungen, die man jetzt landesweit und bundesweit macht, ist es unter den aktuellen Rahmenbedingungen nur sehr schwer zu schaffen. Da ist die Forschungszeit natürlich nur ein Aspekt.

Es gibt ja auch Meinungen, dass wir schon genug wissen und endlich ins Handeln kommen müssen.

Das ist bei den Waldmooren nicht der Fall. Hier kann man handeln, aber was das Handeln konkret bringt, weiß man nicht. Ich weiß, dass das Handeln sinnvoll ist, aber wie sinnvoll es ist und ob ich das in monetäre Äquivalente umrechnen kann und dadurch bezahlen kann, das weiß ich nicht. Die Wirtschaftlichkeit spielt eine ganz entscheidende Rolle, das ist das Problem. Man weiß schon viel, aber an einigen Stellen weiß man nicht genug. Die Kommunikation zwischen Bildungsinstituten und Forschung und den entsprechenden Ministerien und auch die Kommunikation zwischen Universität und den im Klimaschutz tätigen inzwischen zwei Ministerien ist entwicklungsfähig.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Eine einseitige Ausrichtung, wenn man nicht in der Lage ist, alle Interessenvertretungen mit ins Boot zu holen. Das ist ein Prozess, der langwierig sein kann. Führungspersonen spielen eine entscheidende Rolle, aber man kann nicht alles von oben machen, das muss auch von unten passieren. Die größte Herausforderung ist, unabhängig von den zur Verfügung stehenden Geldern Akzeptanz herzustellen. Sonst werden wir gerade im Klimaschutz von Unternehmen überfahren, die nachher bestimmen, was bei uns in der Landschaft passiert.