Stiftung Naturschutz

„Vor Ort das Optimum für den Naturschutz herausholen“

Interview mit Ulrike Wegner am 05.04.2023 in Kiel

Vita

Im September 1962 bin ich in Stade geboren. Auf dem elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb war ich eines von zehn Kindern. Nach dem Abitur und einer Ausbildung zur Baumschulgärtnerin in Elmshorn habe ich an der Universität Hannover Gartenbau studiert. In Schleswig-Holstein habe ich 1994 mein Referendariat mit dem 2. Staatsexamen abgeschlossen. Anschließend arbeitete ich ein Dreivierteljahr für die Akademie für Naturschutz (ANU) in Neumünster und habe dort Vorträge zum Thema Naturschutz im ländlichen Raum bei den Landfrauen in ganz Schleswig-Holstein gehalten. Seit Sommer 1995 arbeite ich bei der Unteren Naturschutzbehörde (UNB) im Kreis Steinburg, zuerst unter der Leitung von Heinrich Rottmann, später dann bei Ulf Schünemann. Seit 2019 habe ich die Leitung übernommen.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst? Wann war das?

Beeinflusst hat mich der landwirtschaftliche Hintergrund, das dörfliche Leben. Ich habe gesehen, wie die ersten nassen Wiesen beseitigt wurden, auf denen Orchideen und Kuckucks-Lichtnelke geblüht hatten. Der Kiebitz hat gebrütet, wenn wir dort Heu gemacht haben. Die Landwirtschaft wurde immer intensiver, es kam das Güllefass und irgendwann die Silos. Ich habe sehr intensiv wahrgenommen, dass da eine Menge verloren geht. Meine Eltern haben mich insofern beeinflusst, dass wir uns über Pflanzen unterhielten, über Bäume, über die Apfel- und Gemüsesorten im Garten. Das Grundwissen habe ich als Kind beim Spazierengehen oder im Sachkundeunterricht in der Schule gelernt.

Während des Studiums habe ich neben den Gartenbauvorlesungen auch bei der Landespflege einige Vorlesungen gehört; nach dem Studium habe ich ein kombiniertes Landwirtschaft-Naturschutz-Referendariat ausgewählt. Ich war in diesem Zusammenhang in den damals noch getrennten Landwirtschafts- und Umweltministerien und auch im Landesamt für Naturschutz tätig und habe damals u. a. Josef Beller und viele andere Kollegen kennengelernt.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Was waren die Aufgaben deiner Wirkungsstätten. Was hast du dort konkret gemacht?

Ich bin hauptamtlich im Naturschutz im Kreis Steinburg bei der Unteren Naturschutz­behörde tätig. Die Gebiete, in denen ich tätig bin, Geest, Marsch und Moor, umfassen fast das ganze Spektrum der Landschaften, das Schleswig-Holstein zu bieten hat.

Mein Aufgabengebiet war immer durch die Eingriffs-Ausgleichs-Regelung bestimmt. Ich hatte mit Eingriffen durch Straßenbau, Leitungsbau, Windmühlen, Bau von Einfamilien­häusern, landwirtschaftlichen Betrieben, Biogasanlagen, Autobahnbau, Stromleitungsbau, Atomkraftwerk, NordLink, SuedLink, Elbvertiefung, die fünfte Schleusenkammer zu tun, also mit allem, was an Großeingriffen in Schleswig-Holstein stattfindet. Es ging immer darum, die negativen Auswirkungen der Eingriffe auf den Boden, auf Flora und Fauna zu vermeiden, zu minimieren oder wenn dies nicht möglich war, auszugleichen. Dabei haben wir uns bemüht, innerhalb des Kreises Schwerpunktgebiete zu finden, damit der Verlust vor Ort ausgeglichen wird. Das gelang uns vor allen Dingen mit der Sicherung von Flächen durch Ankauf. Später kam die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein als Käuferin dazu, aber zu Anfang hat der Kreis selbst gekauft oder zusammen mit der Stiftung und die Flächen sind dann vorrangig an die Stiftung gegangen, aber auch an andere Einrichtungen und Stiftungen. Unser Ziel war immer, die verloren gegangenen Lebensräume, Feuchtwiesen, magere Standorte, Heiden und Moor, wiederherzustellen. Wir haben mit den Geestrandmooren an der Elbe wie dem Vaaler Moor, Herrenmoor und Breitenburger Moor große Moorgebiete und im Bereich der Rantzau, der Bekau, der Stör und der Elbe große Überschwemmungsgebiete. Der Kreis Steinburg verfügt mit rund 300 Hektar über das einzige Vorland an der Elbe, das nicht eingedeicht worden ist. Es geht darum, dieses Gebiet zu sichern, zu entwickeln und es als Relikt des alten Elbeverlaufs zu erhalten.

Darüber hinaus kaufen wir Wald an, betreiben Waldumbau und Wald-Neuanpflanzungen auf eigenen Flächen, die wir gesichert haben und für die ich die jeweilige Maßnahme plane und umsetze. Seit 1995 bin ich auch mit Moorrenaturierung beschäftigt. Damals habe ich die ersten 500 Hektar wiedervernässt.

Besondere Projekte waren die Fledermausbunker in Hohenlockstedt. Auf einem ehemaligen Militärgelände, das die Landesforsten übernommen haben, wurden in Zusammenarbeit mit Matthias Göttsche 13 Bunkeranlagen umgebaut und jetzt überwintern dort die ersten paar Hundert Fledermäuse. Das Projekt wurde von der UNB mit rund 150.000 Euro finanziert.

Im Vorland von Sankt Margarethen haben wir Flachwassergebiete für Limikolen wie Kampfläufer, Rotschenkel, Säbelschnäbler, Austernfischer und Kiebitze geschaffen. Durch Flächensicherung des Naturschutzes ist die Renaturierung der Rantzau auf mehreren Kilometern ist gelungen.

Ein anderes Beispiel ist die Öffnung der Stör-Schleife. Wir haben bei der Öffnung von Deichen mitgewirkt und in Hodorf wurde die Störschleife als Ausgleichsmaßnahme für die Elbvertiefung geöffnet. Für die Umsetzung dieser umfangreichen Maßnahmen beim Deichrückbau braucht man die verschiedenen Behörden, die Landeigentümer und die Wasserverbände, Wasserbauer und das Wasser- und Schifffahrtsamt WSA. Es ist auf unser Verhandlungsgeschick und die gute Zusammenarbeit über Generationen von Abteilungsleitern zurückzuführen, dass es gelungen ist, bei solchen Vorhaben eine Menge für den Naturschutz umzusetzen. Wir haben uns die Projekte vorgenommen, bei denen wir als Naturschutzbehörde etwas bewirken können. Wenn wir Eingriffe zum Beispiel am Gewässer haben, wirken wir darauf hin, dass das WSA Hamburg bzw. die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Kiel an seinen Gewässern entsprechende Großprojekte im Sinne des Naturschutzes durchführt. Als Ausgleichsflächen für die fünfte Schleusenkammer dienten zum Beispiel die Burger-Au-Niederung und auf der östlichen Seite des Nord-Ostsee-Kanals Flächen im Vaaler Moor. Das sind nur einige Beispiele.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Die Stiftung Naturschutz hatte ich schon genannt. Auch das Landesamt war und ist ein guter Ratgeber. Angelika Bretschneider, Rüdiger Albrecht, Arne Drews und Martina Kairies will ich nennen. Fortbildungen und Exkursionen waren für mich immer wichtig, um in anderen Landesteilen aber auch in anderen Bundesländern zu sehen, was machbar ist oder wohin die Reise gehen könnte, oder auch, wie man es nicht machen sollte.

Wichtig sind das Moorschutzprogramm und die Wasserrahmenrichtlinie, die die Wasserbehörden verpflichtet, Gewässer zu renaturieren und die Gewässergüte zu optimieren. Die Diskrepanz zwischen Naturschutz-Vorstellungen und wasserbaulichen Vorstellungen ist immer noch sehr groß, egal was im Gesetz steht.

Auch die Artenschutzprogramme waren wichtig, um Fördergelder für den Flächenankauf bzw. die Flächenentwicklungen zu bekommen. Und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) spielt eine große Rolle, insbesondere für die Sicherung und Entwicklung der Moore sowie dem ehemaligen Truppenübungsplatz „Binnendünen Nordoe“.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Trotz der vielen schweren Eingriffe in Natur und Landschaft ist mein Ziel, immer das Optimum für den Schutz der Natur herauszuholen und zwar dort, wo der Eingriff stattfindet. Nicht über Ökokonten oder in entfernten Naturräumen. Wenn ich hier einen Eingriff habe, sollte er möglichst nicht in Nordfriesland ausgeglichen werden.

Darüber hinaus ist mein Ziel, mit gutem Verhandlungsgeschick mit den Eingreifern zusammen intelligente Lösungen vor Ort zu finden, ob es sich um behördliche Eingreifer wie die Landesforsten, die Wasserbauer, die Wasser- und Schifffahrtsdirektion oder die örtlichen Landwirte, die Energiebauer oder auch Unternehmen wie die DEGES GmbH handelt. Wir fordern die Eingreifer auf, vor Ort Gebiete herauszukristallisieren, in denen Ausgleich möglich ist. Dafür ist der Landschaftsplan der Kommunen ganz wichtig, weil darin festgehalten ist, welche Vorhaben für Natur und Landschaft geplant sind. Mit dem aktuellen Akteur und den entsprechenden Finanzen, die dann im Dorf und bei den Bauern bleiben können, kann man dann agieren. Damit erhöhen wir die Akzeptanz für die Maßnahmen und tun gleichzeitig etwas für den Naturschutz.

Immer wichtiger wird, die Flächen umfangreich zu sichern, denn die Konkurrenz um die Flächen ist größer geworden. Wir hatten schon einmal so einen Boom, als die Biogasanlagen kamen, und der nächste Boom besteht seit vier, fünf Jahren beim Thema Windenergie. Große Aktienkonzerne oder irgendwelche anderen Hedgefonds sichern sich Flächen und machen sie für alle anderen Projekte unzugänglich. Sie sind dann für Überwegungsrechte, Ausgleichsmaßnahmen oder Leitungsbau nicht mehr verfügbar. Es handelt sich also um „Knebelverträge von Dritten“.

Um auch zukünftig Maßnahmen oder große Projekte durchführen zu können, wird die Sicherung der Flächen immer wichtiger, auch wenn es zunächst nur kleine Puzzleteile sind. Es darf nicht zu No-go-Areas oder Sperrflächen kommen, die über Jahrzehnte gesichert sind und an die wir nie wieder herankommen.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen und warum?

Meine Vorgänger und ich waren sehr erfolgreich durch unsere vorausschauende Einkaufsstrategie und Sicherung von Flächen. Gemeinsam mit der Stiftung gehören uns 2.000 Hektar Moor, auf denen wir agieren können. Wir vernässen nicht nur Grüppen, sondern große Areale nach neuestem Stand der Technik. Vorausschauend haben wir Bauernwälder und Gewässerrandstreifen gekauft. Die Untere Wasserbehörde rühmt sich heute mit der Renaturierung von Gewässern. Wenn die Untere Naturschutzbehörde diese Flächen vorher nicht gesichert hätte, hätte man diese Maßnahmen dort nie durchführen können.

Das von uns geförderte Fledermausbunker-Projekt der Landesforsten ist ein Beispiel dafür, wie alte, ungenutzte Militäreinrichtungen sinnvoll für Artenschutzmaßnahmen umgenutzt werden können und macht Mut, vergleichbare Projekte umzusetzen.

Dadurch, dass wir so viele Eingriffe bei uns im Kreis haben und nicht alle Mittel durch Maßnahmen direkt in den Projekten umgesetzt werden können, sondern auch Ersatzgeld an den Kreis gezahlt wird, haben wir weiterhin die Möglichkeit, Flächen anzukaufen und Maßnahmen umzusetzen. Das ist eine große Freiheit, dass nicht alles über die Verwaltung des Landes gehen muss.

Wann ist dir der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

Erst vor ein paar Jahren, als das Moorschutzprogramm aufgelegt wurde. Aber alle Maßnahmen, die wir bisher gemacht haben, hatten etwas mit Klimaschutz zu tun: die Abflachung von Gewässerufern, die Renaturierung von Gewässern, die Anlage von Poldern, um Hochwasserspitzen wegzunehmen. Wir reagieren auf spontane und wiederkehrende Wetterereignisse, die zum Teil auf den Klimawandel zurückgeführt werden, wie wiederkehrende Hochwasser an der Stör, durch die die Ortschaften unter Wasser stehen. Wir konnten vermitteln, dass wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können, wenn der Naturschutz Flächen zur Verfügung stellt und aktiv mitarbeitet. 1985 haben wir mit den ersten Planboards in den Mooren angefangen. Damals wurden auf ca. 50 Hektar Einstaumaßnahmen per Planboard umgesetzt und versucht, das Oberflächenwasser zu halten. Von den 1990er-Jahren bis 2005 habe ich mehrere hundert Hektar eingestaut. Das lief nicht unter Klimaschutz, sondern unter Moorschutz und sollte Sackungen verhindern und Tier- und Pflanzenarten erhalten bzw. die historische Kulturlandschaft wiederherstellen. Dass man das heute unter dem Klimaschutzaspekt betrachtet, ist hilfreich, um die Umsetzung voranzutreiben und um finanzielle Mittel freizusetzen, aber jeder Naturschützer würde weiterhin sagen, dass der Lebensraum Moor wichtig ist. Dass die Moorrenaturierung noch einen weiteren Aspekt hat, ist von Vorteil, aber ist nicht ausschlaggebend für den Erhalt der Moore.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv miteinbezogen? Wo und wann ist dir das mit welchen Maßnahmen gelungen?

Bisher nicht, aber wenn wir das tun würden, würden es die gleichen Gebiete und Schwerpunkte sein, die wir vorher auch schon im Auge hatten: Gewässer, Talauen, Vorländereien an der Elbe, Moor und auch Wald. Den Aspekt Klimaschutz erfüllen die Maßnahmen ebenfalls, aber er ist nicht vorrangig.

Bei dem großen Renaturierungsgebiet Stör zwischen Kellinghusen und Itzehoe haben wir einen Talraum, den ich jetzt gern mit dem Niedermoor unter Landschaftsschutz stellen würde, damit wir die Deiche öffnen und wieder aktiv Wasser hineinpumpen können. Das sind Maßnahmen, die man unter Klimaschutz verzeichnen kann und auch die Wasserbauer würden das so betrachten. Mir geht es aber vorrangig darum, eine große Weidelandschaft wiederherzustellen, die im Sommer feuchte Verhältnisse schafft und für die Wiesenvögel Nahrungs- und Bruthabitat bietet.

Natürlich kann man Klimawandel/Klimaschutz immer als Stichwort einbringen, aber ich würde kein neues Projekt nur unter diesem Aspekt aufmachen.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Als entscheidende Faktoren will ich Beharrlichkeit und Vertrauen aufbauen nennen. Mit der Kontinuität der Personen schaffst du innerhalb der Bevölkerung, ob es die Bürgermeister oder die Landwirte sind, das Vertrauen, dass du das, was du tust, nach bestem Wissen und Gewissen auch zu ihrem Vorteil tust. Das ist die Voraussetzung, um Projekte auch langfristig realisieren zu können. Dann wendet sich jemand, der Flächen verkaufen will, nicht zwangsläufig an den nächsten Makler, sondern ruft mich an. Ein Beispiel: Eine 25 Hektar große Waldfläche, fast eine halbe Million Euro wert, konnte an die Schrobach-Stiftung gehen, weil der Verkäufer wollte, dass der Wald an den „Naturschutz“ geht. Er hat auf eine fünfstellige Summe eines privaten Gegenangebotes verzichtet. Das spricht für uns und ist wesentlich, um Projekte umsetzen zu können. Nur mit Vertrauen und Kontinuität kommst du an Flächen heran. Du kannst dein Kaufinteresse noch so oft bekunden, aber wenn der Landeigentümer nicht will, dann will er nicht.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an den handelnden Personen?

Im Waldschutz haben wir ein Defizit. Gründe sind fehlendes Wissen, teils auch Nicht-wissen-wollen und die verfehlte Förderpolitik. Ein Beispiel: Die FFH-Richtlinie sieht vor, dass pro Hektar nur eine begrenzte Zahl von Altbäumen erhalten werden muss. In einem FFH-Wald von insgesamt 20 Hektar stehen auf 18 Hektar keine Altbäume und auf zwei Hektar stehen ganz viele. Da eine Umrechnung auf die Gesamtfläche nicht vorgesehen ist, können zur Zeit auf den zwei Hektar alle überzähligen Bäume herausgenommen werden. Ich habe dem Förster angeboten, dass ich ihm diese Bäume, die krumm gewachsen sind und nicht als Furnierholz zu gebrauchen sind, abkaufe. Auch der Förster schätzte das Holz als reines Feuerholz ein. Mein Angebot, die Bäume zu demselben Festmeterpreis zu kaufen, damit sie stehen bleiben können, lehnte er aus Prinzip ab. Das ist Irrsinn. Bei der Waldbewirtschaftung wird noch eine Menge Schindluder getrieben, sinnvoller Waldschutz und FFH-Schutz wird ignoriert. Das Bewusstsein der Förster der Landes- und der Bundesforsten, auch der jungen Förster, ist noch sehr durch die alte Schule geprägt. Ich habe aber auch schon ein paar junge Förster kennengelernt, bei denen ich positiv überrascht war.

Fehlendes Bewusstsein für den Wert spielt auch eine Rolle im Zusammenhang mit der Sicherung von Niedermoorgrünland. Für die Landwirtschaft ist es wertloses Dauergrünland: Der Landwirt kann hier nicht pflügen, nicht mit dem Trecker schon im März Gülle aufbringen, nicht vernünftig entwässern und nicht in Acker umwandeln. Wir haben große Gebiete im Rahmen der Förderung von Biogasanlagen verloren. Heute, 25 bis 30 Jahre später, bekomme ich diese total kaputt gewirtschafteten Flächen als Ausgleichsflächen wieder angeboten. 30 Jahre haben sie Schindluder mit der Fläche getrieben, jede Menge Nährstoffe aufgebracht, entwässert, haben die Vegetation mit Roundup bekämpft. Ich kann die Fläche nur als Ausgleichsfläche akzeptieren, wenn der Eigentümer den Wasserstand wieder anhebt und Saat von artenreichem Grünland ansät. Das ist ihm dann zu teuer. Einmal Roundup und wegmachen geht schnell, aber den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, ist zeitaufwendig und teuer.

Diese Restflächen, die wir noch haben und die als wertlos angesehen werden, sind jetzt plötzlich als Standorte für Photovoltaik gefragt. Da kommt jemand und bietet 3.500 Euro pro Hektar und Jahr, wenn er die Fläche für die nächsten 60 Jahre für Photovoltaik nutzen kann. Das sind dann keine Offenlandflächen mehr, sondern Gewerbeflächen. Es fehlt das Bewusstsein, dass uns damit historische Kulturlandschaften und wichtige Nahrungshabitate verloren gehen. Das ist der nächste Wahnsinn.

Gibt es, wenn du auf die einzelnen Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Ja. Ich würde mehr Landschaftsschutzgebiete zum Erhalt der historischen Kulturlandschaft ausweisen und damit großflächige Gewerbegebiete ohne Bauleitplanung ausschließen. Die Wilstermarsch zum Beispiel wird gerade ohne jegliche Planung zu einem großen Industriepark umgebaut, weil es im Moment möglich ist, die Landschaft mit Solarparks zuzupflastern.

Das, was andere Kreise gemacht haben, haben wir verpasst, als nicht so wichtig erachtet, weil wir dachten, dass es eine landesweite Planung gibt und wir in diesem Planungsbereich Einfluss nehmen können. Die letzten zwei bis drei Jahre, und insbesondere das letzte Jahr, zeigen, dass unter dem Aspekt des Klimawandels und der Energiewende eine starke Goldgräber-Mentalität entstanden ist.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens?

Wenn ich Klimaschutz so interpretiere, wie es im Moment in der Politik und Presse geschieht, dann bedeutet er Energiewende um jeden Preis. Für mich ist Klimaschutz aber nicht nur Energiewende. Wir werden bei diesem Thema große Probleme bekommen, wenn wir die natürlichen Landschaftselemente nicht in ausreichendem Maß mitberücksichtigen. Die Identität einer Landschaft und damit die Einzigartigkeit, das Besondere und das Schöne der Region, mit der sich die Bevölkerung auch identifiziert, darf nicht den Klimaschutz-Maßnahmen geopfert werden.

Erfolgreicher Klimaschutz muss mit der Sicherung und dem Vorrang von Natur und Landschaft unter Einbeziehung der erforderlichen Infrastrukturmaßnahmen einhergehen, damit die Bewirtschaftung von Flächen gewährleistet werden kann. Ein Beispiel ist die mittlere Stör. Wenn wir da Klimaschutz machen, öffnen wir die Deiche und lassen Wasser herein. Das erreichen wir auf den paar tausend Hektar nur, wenn wir die Landwirtschaft weiterhin mitnehmen und die Flächen bewirtschaften lassen, sodass beide Seiten einen Vorteil davon haben.

Grenzen sehe ich bei der Vereinbarkeit von Moorschutz mit Photovoltaik und Windkraft und bei der Vereinbarkeit von Niedermoor- und Feuchtwiesenschutz sowie Artenschutz mit Photovoltaik. Ich verstehe nicht, dass Leute meinen, sie können auf Seen schwimmende Photovoltaik-Anlagen installieren oder jede Sandkuhle mit Photovoltaik vollpflastern, obwohl wir wissen, dass Sandkuhlen mit ihren trockenen, mageren Standorten sehr wichtig für den Artenschutz sind. Wir haben uns als Bundesrepublik in internationalen Artenschutzabkommen verpflichtet, bestimmte Arten zu fördern. Ganz viel von dem, was wir im Moment unter dem Thema Klimaschutz oder Energiewende als Vorrang einrichten, geht zu Lasten des Artenschutzes. Die Ausgewogenheit der Interessen ist nicht mehr gewährleistet, weil zur Zeit alles der Energiewende geopfert wird.

Das gute Zusammenspiel besteht zwischen Moorschutz und Klimaschutz über die CO2-Speicherung. Das machen wir schon seit Jahrzehnten und das könnten wir weiter verstärken. In den Feuchtwäldern, Nieder- und Hochmooren Wasser zurückzuhalten, ist aktiver Naturschutz und damit auch aktiver Klimaschutz und wesentlich effizienter, als wenn ich einen Hektar mit Solarplatten belege. Die CO2-Zurückhaltung ist wesentlich größer, wenn ich einen Hektar Moor oder Wald optimal wiedervernässe, als wenn ich einen Hektar mit PV-Anlagen überdache. Und als Doppelnutzung funktioniert es nicht. Ich habe Moore, die 20 bis 30 Meter tief sind. Um dort PV-Anlagen aufstellen zu können, müsste das Wasser heraus. Die Anlagen müssen bewirtschaftet werden können. Die Flächen haben dann einen Gewerbe-Status, die Gewerbetreibenden haben das Recht, diese Flächen jederzeit befahren zu können, sie müssen ihre Anlagen optimal ausrichten und reparieren können. Wenn ich den Wasserstand für den Artenschutz anhebe, ist die Fläche nicht mehr befahrbar.

Organischer Boden braucht aber nicht nur ganz viel Licht und Sauerstoffaustausch, sondern auch eine gleichmäßige Feuchtigkeit. Unter PV-Anlagen ist das nicht gegeben, dort habe ich eine Spurrillenbewässerung im Bereich der Unterkanten der Platten. Und so viele Schafe haben wir in ganz Schleswig-Holstein nicht, dass wir sie unter den PV-Anlagen alle weiden lassen können. Selbst Schafe sind Intensivfresser, die verhindern, dass Pflanzen zum Blühen kommen.

Es heißt immer, dass die PV-Anlagen auch bodenschonend aufgebaut werden können. Wenn ich die Solarfelder an der A7 betrachte und ein paar hundert Hektar haben wir auch hier im Kreis, sieht die Praxis anders aus: Da geht erst mal der Radlader drüber und macht alles plan. Alle Grüppen werden aufgefüllt, um ein einheitliches Baufeld zu bekommen. Der Boden wird verdichtet. Auch, wenn ich die Fläche hinterher mit artenreicher Grünlandsaat einsäe, bleibt die Bodenverdichtung. Aus bodenkundlicher Sicht ist es eine aktive Bodenvernichtung, die nicht zu verantworten ist. Außer ich mache Schleswig-Holstein zum Industrieland, wovon einige Politiker schon sprechen. Ich kann aber Moore und Flächen, die vier Meter unter Meeresspiegel liegen, nicht zum Industrieland machen.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Die vorhandenen Programme müssen beibehalten werden. Das Moorschutzprogramm, der Waldumbau, die Gewässerrenaturierung sind wichtig und müssen landesweit als vorrangig angesehen werden. Die anderen Disziplinen, die damit zu tun haben, müssen zusammen mit dem Naturschutz an einem Strang ziehen. Auch die Privatwaldbesitzer müssen begreifen, dass Fichtenwald, in den ich drei Eichen pflanze, kein Naturschutz bedeutet und es dafür keine Förderung gibt und die Fläche nicht als Ausgleichsfläche anerkannt werden kann. Unter dem Aspekt Klimawandel und Energiewende ist es erforderlich, dass das Land wieder in die Regionalplanung einsteigt und Vorrangflächen für Solarenergiefelder ausweist. Bisher verweigert sich das Land. Die ersten Regionalpläne für Windenergie-Eignungsflächen im Kreis Schleswig-Flensburg sind gerade gekippt vom Oberverwaltungsgericht, die anderen Kreise oder Regionalgebiete stehen vielleicht davor. Vor dem Hintergrund der vielen Ausbauwünsche für Windenergieanlagen werden wir womöglich den Wildwuchs, dem wir mit der Regionalplanung vorbeugen wollten, nicht nur bei den PV-Anlagen, sondern jetzt auch bei der Windenergie haben. Sie wird in der Bauleitplanung als vorrangig eingestuft: §35, Absatz 1 Baugesetzbuch. Das bedeutet, es gibt nur noch ganz wenige Gründe, um die Belange des Naturschutzes und des Artenschutzes vorrangig einzustufen. Der Regionalplan ist also wichtig. Die verschiedenen Belange Energie, Infrastruktur, Naturschutz, Artenschutz, Kulturlandschaft müssen als gleichwertig berücksichtigt werden und nicht letztere dem Energiesektor untergeordnet werden.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Unter dem Deckmantel des Ukrainekriegs wird im Moment alles nach vorne gestellt, was Energie anbelangt. Die Lobbyisten freuen sich und die Politiker machen das unter der Devise „Energiewende“ mit. Schleswig-Holstein produziert zur Zeit so viel Strom, dass wir ihn in den nächsten zehn Jahren nicht loswerden. Die Leitungstrasse „Westküste“ von SuedLink unter der Elbe durch wird erst die erste von drei Leitungen sein, die noch kommen. Es gehen zumindest eine, wenn nicht noch zwei Leitungen unter der Elbe durch und noch eine durchs Wattenmeer nach Wilhelmshaven, um überhaupt den Strom, den wir jetzt schon haben, aus Schleswig-Holstein herauszutransportieren. Die Energiewende ist wichtig und erforderlich, aber wir sind nicht das einzige Bundesland, das dafür verantwortlich ist. Die Menschen wissen gar nicht, was mit ihrer Landschaft passiert. Sie werden sich die Augen reiben. Das ist jetzt schon so, wenn sie die A7 herunterfahren, und das wird noch mehr werden, wenn überall vor ihrer Haustür PV-Anlagen entstehen, und das nicht nur auf fünf Hektar sondern auf 35 oder 60 Hektar, Feld an Feld, nach der Devise: Energiewende, das müsst ihr ertragen, sonst gehen die Lichter aus.

Ganz allgemein finde ich beim Thema Energiewende und Klimawandel problematisch, dass es in der Öffentlichkeit immer in einem Zusammenhang genannt wird. Das ist mir nicht genügend differenziert. Gerade was die Flächenkonkurrenz anbelangt, sind wir mit der Energiewende in Konkurrenz und nicht mit dem Klimawandel.

Wenn wir in der Vergangenheit die Veränderung des Klimas nicht gehabt hätten, würden wir hier immer noch unter drei Kilometer Eispanzer liegen. Wir hätten keine nutzbaren Böden. Klimawandel ist nicht per se etwas Schlechtes. Die Landnutzer schaffen es aber, den Boden, der in den letzten 10.000 Jahre entstanden ist, innerhalb von 25 Jahren durch fehlerhafte Bodenbewirtschaftung und Entwässerung zu zerstören, sodass wir wieder auf der Geschiebelehm-Ebene sind, die wir vor 10.000 Jahren mal hatten. Das Bewusstsein, wie lange Klimawandel braucht, um die Böden und damit überhaupt unsere Lebensgrundlagen zu schaffen, und wie schnell wir eine Entwicklung von 10.- bis 15.000 Jahren wieder kaputt kriegen – innerhalb von einer Pflugstunde oder einer Stunde Großbaggereinsatz – ist weder der Bevölkerung noch speziell den Landwirten genügend bewusst.

Wenn wir über Klimawandel und klimaschutzrelevante Maßnahmen reden, müsste stärker differenziert werden zwischen dem, was in der Presse oder Politik unter diesen Begriffen verkauft wird, und was tatsächlich Klimaschutz bzw. CO2-Einsparung in den Flächen für uns bedeutet. Das ist ein bisschen problematisch, weil das Verständnis der Begrifflichkeiten und der Folgerungen auseinander geht.

Für mich ist der Klimawandel nicht der wichtigste Aspekt in meiner Arbeit, aber die Energiewende-Politik, die im Moment unter dem Aspekt Klimawandel und Klimaschutz läuft, finde ich problematisch. Die Leute überholen sich in der Energiepolitik gegenseitig, um Stimmen zu erhaschen, mir fehlt dabei die Seriosität und die wissenschaftliche Basis. Wenn man dieses Problem anspricht und die Klimaaktivisten kritisch sieht, dann ist man gegen Klimaschutz und wird als Klimawandel-Leugner angesehen. Das ist Blödsinn. Das, was wir hier in der UNB täglich machen, ist Klimaschutz. Und das haben wir gemacht, bevor jemand überhaupt auf diesen Begriff gekommen ist.