Stiftung Naturschutz

„Ein gigantisch dickes Brett“

Interview mit Uwe Dierking am 28.09.2022 in Kiel

Vita

Ich bin Uwe Dierking, 1957 in Stade geboren und dort aufgewachsen. Nach dem Abitur habe ich in Göttingen Forstwirtschaft studiert. Seit 1980 bin ich in Schleswig-Holstein zunächst im Landesamt für Naturschutz und anschließend ab 2007 beim Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL) im Naturschutz tätig gewesen.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst? Wann war das?

Ehrenamtlich habe ich mich schon sehr früh im Vogelschutz engagiert, das erste Mal 1971 als 14-Jähriger als Assistent des Vogelwarts im Vogelschutzgebiet Hullen an der Niederelbe. Schon im Jahr darauf war ich beim Verein Jordsand zusammen mit einem Freund selbst Vogelwart, immer mal für 14 Tage in den Ferien. Die unmittelbare Naturschutzarbeit hat mit diesen Vogelwart-Aktivitäten und den internationalen Wasser­vogelzählungen, die wir an der Elbe sehr regelmäßig im Winter einmal im Monat durchführten, begonnen.

Das Vogelgucken habe ich offenbar in die Wiege gelegt bekommen. Ich kannte bereits, bevor ich lesen konnte, viele wissenschaftliche Namen der heimischen Vögel auswendig, weil ich einen großen Bruder hatte, der mich in dieser Hinsicht ein bisschen geprägt hat. In der Schule habe ich mich mit Unterschriftensammlungen gegen die Industrieansiedlung an der Elbe engagiert. Aber mein vorrangiges Interesse lag nicht so sehr im Umweltschutz, sondern eher darin, mich mit weiteren Artengruppen zu beschäftigen.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Was waren die Aufgaben deiner Wirkungsstätten. Was hast du dort konkret gemacht?

Von 1980 bis 2007 habe ich im Landesamt, zuerst auf einer ABM-Stelle, gearbeitet. Es war für mich die prägende Einrichtung. Nach meinem sehr kurzen und unengagierten Studium habe ich rückblickend dort so etwas wie eine Lehre gemacht. Ganz lange Zeit war Henning Thiessen als Dezernatsleiter mein Vorgesetzter. Bei ihm habe ich – abgesehen von vielen schönen zwischenmenschlichen Erlebnissen – wirklich viel an Grundlagen, an Grundverstehen lernen können. Er hat mir viele Freiheiten gelassen, ich konnte mir sehr viel selbst erarbeiten und meine Aufgaben sehr eigenständig bearbeiten. Der „Strauß“ Naturschutz war sehr bunt und wir waren am Anfang im Landesamt nur wenige, vielleicht zehn Leute. Man konnte sich neben den Pflichtaufgaben zusätzlich engagieren, wo man Interessen hatte, weil viele Themen noch unbesetzt waren. Ich bin vom direkten Artenschutz Richtung Biotopschutzmaßnahmen gegangen, habe mich auch eine Zeit lang mit Vertragsnaturschutz beschäftigt und habe dann auch mal ins Planerische geschnuppert. Die Grundüberlegungen zu einem Biotopverbundsystem hatte ich mir schon in den 1980er-Jahren gemacht

Das war eine tolle Zeit. Und sie war die Grundlage für meine zukünftigen eigenständigen Projekte: Die inzwischen in Schleswig-Holstein berühmten halboffenen Weidelandschaften habe beispielsweise ich entwickelt. Das war nur möglich, weil ich die entsprechende Grundausbildung erhalten hatte und gelernt hatte, auch über den Tellerrand zu schauen.

2007 hat der Deutsche Verband für Landschaftspflege in Schleswig-Holstein eine sogenannte Koordinierungsstelle gegründet und diese Stelle habe ich bis Ende des Jahres 2022 bekleidet. Zusammen mit einem ständig gewachsenen Mitarbeiterkreis haben wir den DVL in Schleswig-Holstein inzwischen zu einer gewissen Größe gebracht – speziell in zwei Bereichen. Der eine ist der agrarpolitische, in dem wir hier von Schleswig-Holstein aus bundes- bis europaweit gewisse Maßstäbe setzen konnten. Stichwort ist die Gemeinwohl-Prämie. Darüber hinaus haben wir gemeinsam mit den von uns unterstützten Lokalen Aktionen, also unseren Landschaftspflegeverbänden, versucht, in Schleswig-Holstein ein System zu etablieren, mit dem im gesamten privaten und auch kommunalen Bereich Zugang zu Naturschutz geschaffen werden kann. Das braucht natürlich Zeit, aber insgesamt sind wir vergleichsweise erfolgreich. Das wird auch bei der Landesregierung und -verwaltung so gesehen. Wir werden inzwischen intensiv gefördert und übernehmen für das Land etliche Aufgaben. Da sind wir hoffentlich noch nicht am Ende der Entwicklung, sondern in der sanften Anlaufphase.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung?

Meine Arbeit ist eher naturschutz- und weniger klimaschutzbetont und darauf haben die Natura 2000-Richtlinien eine große Auswirkung gehabt. Die europäischen Richtlinien waren zum Teil in den 1970er-Jahren entworfen worden und handwerklich total gut gemacht. Natürlich nach so langer Zeit stets verbesserungsbedürftig, aber die Grundgedanken, der Grundaufbau waren gut. Es gibt seit Kurzem von Landesseite ein Prioritäten-Konzept für die Umsetzung von Natura 2000-Maßnahmen, das in der Konzeption auch richtig gut gemacht ist. Dadurch wird hier Natura 2000 basierend auf der alten Fachrichtlinie wieder mehr Bedeutung bekommen. Ansonsten wirken natürlich die Biodiversitätsrichtlinien auf uns, egal auf welcher Ebene, ob von der EU oder vom Land.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig, und haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Ich komme aus der Vogelbeobachtung und habe an der niedersächsischen Niederelbe diese aberwitzigen Verluste an Wiesen- und Küstenvögeln erlebt, in einer Dimension, wie wir sie uns heute kaum vorstellen können. Das löste Betroffenheit aus und es war mir wichtig, mich für die Erhaltung einzusetzen. Das entsprach auch dem Zeitgeist. Dann hat sich das immer mehr erweitert. Nach den Vögeln kamen weitere Artengruppen und ihre Lebensräume dazu. Ich habe ganz oft gesagt, ich will draußen die Erfolge meiner Arbeit sehen. Vorher ist meine Arbeit nicht gut gewesen. Der Maßstab und die Erdung finden immer wieder draußen statt, das war für mich der wesentliche Antrieb.

Schon früh kam mir die Erkenntnis, dass wir in Schleswig-Holstein uns erst einmal eigene Flächen schaffen müssen, auf denen wir Naturschutz-, aber auch zum Teil Umweltschutzmaßnahmen wie Klimaschutz umsetzen können. Da lag ein klarer Fokus. Das „Großmachen“ der Stiftung Naturschutz – durchaus vielfach umstritten – war richtig und wichtig. Ich war in den 1990er-Jahren im Landesamt dafür zuständig, die Stiftung zu betreuen. Die war anfangs noch relativ klein mit kaum eigenem Personal und die Betreuung bestand ganz wesentlich darin, die Ankaufsgutachten zu schreiben. Ich hatte dabei ein klares Ziel: erstens viel Fläche zusammenbekommen, zweitens inhaltlich möglichst wenig festlegen. Letzteres war nicht immer einfach, da nicht zuletzt für den Einsatz der benötigten EU-Fördermittel gefordert wurde, dass in diesen Ankaufsgutachten stehen muss, welche Entwicklungsziele konkret für diese Flächen vorgesehen waren. Ich habe immer versucht, die Entwicklungsziele möglichst offen zu lassen, denn wir haben die Ziele im Laufe der Zeit häufig weiterentwickelt. Das hat sich zum Teil aus dem Zeitgeist – Stichwort Sukzession versus Pflege –, zum Teil aber auch aus weitergehenden Erkenntnissen ergeben. Und an diese weitergehenden Erkenntnisse glaube ich immer noch. Deswegen sollte man sich allzu enge Festlegungen sparen. Man muss einen gewissen Rahmen vorgeben, dann ist man auf der richtigen Seite. Das habe ich in dieser Zeit konsequent betrieben und ich glaube und hoffe, dass die Stiftung davon immer noch profitiert. Privat habe ich mich zusätzlich in der Kurt und Erika Schrobach Stiftung engagiert, die ebenfalls Naturschutz auf eigenen Flächen durchführt.

Das Ziel, vorrangig Naturschutz auf eigenen Flächen umzusetzen, schien mir dann gegen Ende der 1990er-Jahre nicht mehr ausreichend und dringend ergänzungsbedürftig. Es zeichnete sich ab, dass man die Fläche für den Naturschutz in Stiftungs- oder sonstiger öffentlicher Hand nicht schnell genug zusammenbekommen konnte und dass der Naturschutz auch auf privaten Flächen nicht vernachlässigt werden durfte. Es fand damals eine spürbare Trennung zwischen Bevölkerungsempfinden und unserem eigenen Handeln statt. Es mussten Wege gesucht werden, wie man das wieder verknüpft. Ich habe dort ab Ende der 1990er-Jahre meinen Schwerpunkt gesucht, weil dort für mich das extremste Defizit bestand.

Seit 2007 arbeite ich beim DVL. Es war gut für mich, aus der Verwaltung herauszukommen, in einen Verein zu gehen und den Natur- und Umweltschutz noch mal aus einer anderen Perspektive sehen und bearbeiten zu können. Jetzt in den letzten Jahren sind es weiter gesteckte Ziele, wie zu versuchen, in die Agrarpolitik einzugreifen und darin Erfolge zu haben. Wahrscheinlich ist bei mir das „etwas unmittelbar auf der Fläche bewegen zu wollen“ bis heute aber weiterhin der Antrieb.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen? Und warum?

Das Gefühl des besonderen persönlichen Erfolges bei bestimmten Projekten habe ich nicht. Es sind eher viele, manchmal ganz kleine Dinge an vielen Stellen im Land, an denen ich Erfolg ablesen kann. Wenn ich da nach zwei, fünf oder 20 Jahren wieder hinkomme und die Entwicklungen sehe, denke ich häufig: „Das ist toll!“ Besondere Wichtigkeit hat für mich die Pohnsdorfer Stauung der Schrobach Stiftung, wo ich sehr regelmäßig bin. Ich habe eine tiefe Verbundenheit zu diesem Gebiet und brauche es zu meinem Ausgleich und meiner Erholung. Aber das ist nicht das Gebiet, in dessen Entstehung gerade ich besonders viel Input gesteckt habe. Ich will damit sagen, mein Erfolg liegt eher im eigenen Beitrag zum Naturschutz im gesamten Land.

Wann ist dir der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

Zuerst begegnet ist mir der Begriff Klimaschutz schon früh in den 1970er-Jahren, weil ich vielleicht ohnehin sensibel für Umweltthemen war, allerdings ohne konkrete Betroffenheit. In den 1980er-Jahren tauchte der Klimaschutz dann als eine Notwendigkeit für jedermann am Horizont auf. In dieser Zeit hatte ich auch erstmalig wegen des vielen Herumfahrens mit dem Auto ein schlechtes Gewissen. Ich bin wohl einer derjenigen in Schleswig-Holstein, die das Land am besten kennen, und das geht nur, wenn man ständig unterwegs ist. Einerseits versucht man, den Naturschutz voranzubringen, auf der anderen Seite fährt man dafür Tausende und Abertausende von Kilometern. Eigentlich passt das nicht zusammen. Dieses Gefühl habe ich also schon früh gehabt, habe es aber als unauflösbar empfunden. Da mir der Naturschutz eine Herzensangelegenheit ist, habe ich den Klimaschutz dabei lieber ein bisschen vergessen. In den 1990er-Jahren gab es die ersten Versuche, Naturschutzmaßnahmen mit Klimaschutzmaßnahmen zu verbinden.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv mit einbezogen? Wo und wann ist dir das mit welchen Maßnahmen gelungen?

Ende der 1990er-Jahre habe ich beim Landesamt einen Artikel geschrieben, in dem ich die Verknüpfung von Moor- und Klimaschutz dargestellt und darauf hingewiesen habe, dass das bei den Naturschutzmaßnahmen mehr beachtet werden sollte. Dass mit Naturschutzmaßnahmen etwas für das Klima getan werden kann und man umgekehrt mit Maßnahmen zum Klimaschutz wie der Moorvernässung auch Naturschutz betreiben kann. Wenn ich mich recht erinnere, wurde dieser Artikel kaum beachtet und auch im Kollegenkreis als „noch nicht richtig in die Zeit passend“ empfunden. Richtige Gedanken können unbedeutend sein, wenn sie in der falschen Zeit geäußert werden. Das war hier ein bisschen so. Es ist beim Klimaschutz so wie bei meinem Naturschutzengagement: Es sind die vielen kleinen Einsätze und Projekte, die meinen Erfolg ausmachen.

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

 

Das betrifft eine Menge Maßnahmen, wenn man zugrunde legt, was heute alles als flächenhafter Klimaschutz oder biologischer oder natürlicher Klimaschutz gewertet wird. Wenn wir irgendwo zur Biotopgestaltung einen Graben verschlossen haben, dann hat die Vernässung vermutlich auch klimarelevant gewirkt, ohne dass das vielleicht das vorderste Ziel gewesen ist.

Das ist sehr regelmäßig vorgekommen, sowohl bei Programmentwicklungen als auch durch Maßnahmen, dort aber eben im Kleinen.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen, und was waren die entscheidenden Faktoren?

Die Möglichkeiten der Integration aus Sicht des Naturschutzes liegen hauptsächlich beim Moorschutz und bei Maßnahmen auf landwirtschaftlichen Flächen. Da kann der Klimaschutz im Kielwasser von Maßnahmen des Naturschutzes mitlaufen und umgekehrt. Wenn ich ein Hochmoor regeneriere, geschieht dies zu hundert Prozent durch Maßnahmen, die auch für den Klimaschutz notwendig sind. Solche unwillkürlichen Überschneidungen sind in landwirtschaftlich genutzten Bereichen nicht möglich. Aber es gibt auch hier gute, flächenrelevante Ansätze. Im Vertragsnaturschutz beispielsweise gibt es für die Niederungen ein tolles Vertragsmuster, was Wasserstandsanhebung auf Teilflächen einschließt. Aber bei der Landnutzung ist insgesamt noch viel Luft nach oben.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen, Bewusstsein, an Sachzwängen oder an den handelnden Personen?

Da fällt mir kein Beispiel ein. Es gibt inzwischen überall gute Ansätze, ob es nun um den Humusaufbau auf Ackerflächen, um Moorschutz oder das Wirtschaften auf solchen Flächen geht. Die sind alle noch nicht so weit fortgeschritten, dass man „Hurra“ schreien könnte. Aber „gar nicht“ kann man nicht sagen.

Wenn etwas nicht funktioniert, fehlt es in der Regel nicht an Programmatik. Wir wissen, was nötig ist. Das Wissen in die Fläche zu bringen, ist die große Hürde. Die Politik macht vielfach ganz gute Rahmenvorgaben. Es hapert an der Übersetzung: Wir müssen zu den richtigen Organisationsformen und den richtigen Arbeitsformen kommen.

Gibt es, wenn du auf die einzelnen Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaschutzaspekt anders machen würdest?

Ich hätte ihn schon früher deutlich mehr in den Vordergrund gerückt – ihm den Stellenwert gegeben, der ihm zukommt. Grundsätzlich würde ich die einzelnen Umweltbelange heute mehr miteinander verbinden. Da hätte mehr Schlagkraft entstehen können und das Risiko, dass ein Thema hinten runterfällt, verringert werden können. Wenn es nicht gelingt, die Dinge ehrlich und gleichberechtigt verknüpft zu denken, wird es zukünftig vermutlich einen Wechsel zum Vorrang des Klimaschutzes geben. Das hielte ich auch nicht für gut.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur- und Klimaschutz?

Die Grenzen sind da, wo man Konkurrenzen hat. Das gibt es in wenigen Situationen. Es gibt Lebensräume, auch FFH-Lebensräume, die aus Naturschutzsicht bedeutend sind und deren Erhalt nicht gerade klimaschutzfreundlich ist. Das sind solche, die möglichst keinen Humus enthalten und wo gerne die Sonne richtig drauf brennen darf. Ich glaube, dass man sich diese Konkurrenzen aber leisten kann, weil das Ganze keine Flächenrelevanz hat.

Auf dem überwiegenden Teil der Flächen des Landes, der sich ja überwiegend in Privathand befindet und genutzt wird, können sich Naturschutz und Klimaschutz wunder­bar ergänzen. Besonders auf Moorböden – hier entstehen bekanntlich die größten Emissionen – müssen wir, wie schon gesagt, diese gemeinsamen Wege entwickeln. Den hier wirtschaftenden Landwirten wird dabei sehr viel abverlangt werden müssen. Das zwingt zu Rücksicht, partnerschaftlichem Vorgehen und Augenmaß. Sehr spannend wird es werden, inwieweit die stoffliche Produktion von Biomasse auf Flächen, die für den Biotopschutz gepflegt werden müssen, eine andere Bedeutung erlangen kann. Ich hoffe, dass wir zukünftig bei der Kostenberechnung von Naturschutzmaßnahmen auch ihren Wert für den Klima- und Wasserschutz einrechnen, also quasi Gesamtbilanzen aufstellen. Dann werden manche Maßnahmen, die uns heute unverhältnismäßig teuer erscheinen, akzeptabler werden. Ein Beispiel ist die Nutzung der krautigen und grasigen Biomasse, die bei der Pflege von nassen Wiesen oder Hochstaudenfluren anfällt. Die Kosten für diese Pflegemaßnahmen erscheinen uns heute sehr hoch, würden aber deutlich erträglicher, wenn wir das Material zukünftig für eine nachhaltige energetische Nutzung verwenden könnten.

Wenn es gut läuft, bekommen Landwirte bei der Biomasseproduktion auf nassen Standorten die Möglichkeit, ein völlig anderes Betriebsmodell zu entwickeln. Ich könnte mir vorstellen, das Landwirte durchaus bereit wären, ihre Betriebe umzustellen, wenn sie dafür langfristig verlässliche Perspektiven bekommen. Heute fehlt dafür aber noch der passende Rahmen. Den müssen die Landwirte mitgestalten, da sie für viele Bereiche die Profis sind. Wie schon gesagt, liegt die größte Aufgabe heute nicht darin, uns programmatische Gedanken zu machen, sondern darin wie wir das, was wir vorhaben, in die Fläche bekommen. Dafür fehlt es an Know-how und es fehlt auch an geeigneten Leuten. Wir haben ein Missverhältnis zwischen denen, die Programme entwickeln können und denen, die diese Programme schließlich in etwas Sichtbares auf der Fläche übersetzen und tatsächlich vor Ort umsetzen können. In früheren Jahren war das einmal besser, wenn man sich beispielsweise das große Kulturprogramm „Programm Nord“ in Schleswig-Holstein anguckt, was das Land in großen Teilen völlig verändert hat. Das hätte man ohne eine entsprechende Personalstruktur niemals hinbekommen. Wir stehen im Moment vor einer Aufgabe, die eine ähnliche Dimension hat wie zu Zeiten des „Programm Nord“ und brauchen wieder die passende Infrastruktur z. B. zielgerichtete Flurbereinigungsverfahren.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Mindestens 80 Prozent der Landesfläche sind in privater Hand. Gerade für den Klimaschutz, wo wir wirklich großflächig tätig werden müssen, liegt hier also der Schlüssel. Der weitaus größte Teil der großen Niederungen Schleswig-Holsteins gehört Landwirten, die hier ihr Auskommen erwirtschaften müssen. Wenn wir da weiterkommen wollen, muss man deren Nutzung und die gesellschaftlichen Ziele zusammenbringen. Das ist nicht einfach und auch zeitaufwendig, aber es ist unerlässlich. Da könnten wir als DVL und Lokale Aktionen gefragt sein, auch weil unter anderem Moderatoren-Tätigkeiten wichtig sind. Und zwar von Leuten, die Fachwissen sowohl von Landwirtschaft als auch von Naturschutz und Klimaschutz haben. Das ist uns bisher ganz gut gelungen, ist aber gewiss noch ausbaufähig.

Im Moment beraten wir überwiegend bei kleineren Naturschutzmaßnahmen, die man in die Bewirtschaftung integrieren kann. In Zukunft werden die Bretter, die zu bohren sind, immer dicker werden. Da wird man zum Beispiel gemeinsam über die Entwicklung der Entwässerungssysteme in den Niederungen mit all den damit in Verbindung stehenden Konsequenzen nachdenken müssen.

Das Bewusstsein, dass Klimaschutz durch alle nötig ist, ist in der Landwirtschaft genauso angekommen wie überall in der Bevölkerung. Das dafür notwendige Handeln ist dagegen noch nicht sehr ausgeprägt. Der Schritt, hier vom Wissen zum Handeln zu kommen, ist vermutlich so groß wie kaum ein Schritt zuvor. Auch hier unterscheidet sich die Landwirt­schaft überhaupt nicht vom Rest der Bevölkerung. Allerdings haben Landwirte häufig mehr Handlungsmöglichkeiten, wenn ihnen der Rahmen entsprechend gesteckt wird. Das bisher praktizierte Entschädigen für den Ertragsausfall bei extensiverer Nutzung wird nicht reichen. Die vom DVL entwickelte „Gemeinwohlprämie“, die stattdessen für die Erzeugung von Wasser-, Klima- oder Naturschutz einen Preis schaffen will, ist deutlich geeigneter. Das heißt, wir machen weniger Vorgaben, sondern wir bemessen den Wert der Maßnahmen für die Gesellschaft und bezahlen dafür. Wer Gemeinwohl erzeugt, muss damit als Unternehmer Geld verdienen können und nicht Entschädigungsempfänger sein. Diesen Wechsel zu vollziehen ist ein gigantisch dickes Brett, aber es lohnt, denn es steht viel auf dem Spiel.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Erstens zu sektoral zu denken, im Umweltschutz muss man die Dinge stets komplex betrachten. Es ist ein Fehler, bei gefühltem Druck nicht umfassend genug zu denken und schnell und einfach zu handeln. Der Boom der Biogasanlagen vor fast 20 Jahren war so ein schlechtes Beispiel. Aktuell habe ich Sorgen, dass bei dem Ausbau der Photovoltaik Ähnliches passiert.

Zweitens dürfen wir bei notwendiger Beachtung aller Fachlichkeit die Menschen nicht vergessen, die nicht aus dem Umweltsektor kommen. Dies ist besonders auf der örtlichen Ebene sehr wichtig. Der DVL ist in seiner sogenannten Drittelparität aus Naturschützern, Kommunal- und Politikvertretern sowie Landnutzern dafür passend aufgestellt.