Stiftung Naturschutz

„Natur braucht Raum und Zeit“

Interview mit Dr. Martin Stock am 01.02.2023 in Rantrum

Vita

Ich bin in Ostfriesland geboren und habe dort meine Jugend bis zu meinem 19. Lebensjahr verbracht. In einer sehr großen Sortimentsbaumschule habe ich dort eine Lehre als Gärtner gemacht und schon ganz viel über Pflanzenarten gelernt, da mein Meister mich sehr gefördert hat. Nach der Lehre habe ich in Osnabrück mein Fachabitur gemacht und anschließend Gartenbau studiert. Danach habe ich ein Biologiestudium in Osnabrück begonnen. Mit 27 Jahren musste ich mein Studium für den Zivildienst, den ich auf der Hallig Langeneß absolviert habe, unterbrechen. Anschließend habe ich mein Studium in Osnabrück mit einer Diplomarbeit zur Schwermetallbelastung bei Austernfischern abgeschlossen. Von Dr. Peter Prokosch vom World Wide Fund for Nature (WWF), dem damaligen Leiter des Wattenmeerbüros, bekam ich das Angebot, eine Stelle bei ihm in der Ökosystemforschung anzutreten. Es ging darum, den Einfluss von Störungen auf die Vogelwelt zu untersuchen. Das war 1989, ich lernte gerade für die Prüfungen, unser Sohn sollte geboren werden, unsere Schafe lammten und ich sollte innerhalb von vier Wochen den Antrag für das Forschungsprojekt schreiben. Es hat alles geklappt. Daraufhin habe ich die Stelle bekommen und am 1. Mai 1989 in der WWF-Wattenmeerstelle in Husum meinen Berufsweg begonnen.

Nach zwei Jahren wechselte ich in die Nationalparkverwaltung, die jemanden für die Ökosystemforschung in den Salzwiesen suchten, der sowohl die Vogelwelt als auch die Pflanzenwelt bearbeiten konnte. Entgegen meiner Sorge, die Arbeit in einer Behörde würde mich einengen, habe ich dort alles, was ich an Ideen hatte, realisieren können. Neben meiner Arbeit an verschiedenen Projekten habe ich in der Nationalparkverwaltung 30 Jahre lang Salzwiesen-Monitoring betrieben. Im Rahmen der Ökosystemforschung habe ich dann auch meine Promotion zum Einfluss von Störungen auf die Vogelwelt abschließen können. Ich habe das Schutz- und Monitoringkonzept für die Salzwiesen erstellt, federführend den Abschlussbericht der Ökosystemforschung mit sechzehn Koautoren geschrieben und mehrere Jahre an der Umsetzung bis hin zur Novellierung des Nationalparkgesetzes gearbeitet. Viel Energie habe ich danach gemeinsam mit Jacobus Hofstede aus dem Ministerium in die Wattenmeer-Strategie 2100 des Landes Schleswig-Holstein investiert.

Viel Zeit erforderte meine eigentliche Aufgabe, die Umsetzung des trilateral im Wattenmeer abgestimmten Monitoring-Programms. Dazu zählte die Erarbeitung eines wattenmeerweit abgestimmten Kartierschlüssels, die Organisation der regelmäßigen Datenerfassung und flächendeckenden Kartierung der Salzwiesen und vor allen Dingen die Auswertung des 30-jährigen Datensatzes und der Vegetationskarten. Leider habe ich es nicht geschafft, alle Daten zu veröffentlichen. Ich habe stattdessen die Kooperationen mit den Universitäten Groningen, Hamburg und Kiel gesucht. Meine Daten konnte ich so für Doktorarbeiten zur Verfügung stellen. Sie wurden dann im Kontext übergreifender Fragestellungen ausgewertet und publiziert.

Am Ende meiner Berufszeit konnte ich sogar meinen Nachfolger mit aussuchen. Ich bin sehr froh, dass wir jemanden gefunden haben, der meine begonnene Aufgabe weiterführt. somit konnte ich vor zwei Jahren beruhigt in Rente gehen.

Wann hast du begonnen, dich für den Naturschutz zu engagieren? Was oder wer hat dich beeinflusst?

Mein Interesse für den Naturschutz ist erst mit dem Biologiestudium gekommen. Im Gartenbaustudium stand der Naturschutz nicht im Vordergrund.

Im Wesentlichen haben mich drei Personen geprägt: Im Biologie-Studium war es Herbert Zucchi, Professor für Tierökologie, der eine unglaubliche Nähe zu seinen Studenten hatte und ganz viel praktisch mit uns gearbeitet hat. Meine Begeisterung für die Wildnis begann mit meinem Zivildienst im Jahr 1984/85 bei der Schutzstation Wattenmeer. Gert Oetken, Gründer und 1. Vorsitzer des Naturschutzvereins hat es überhaupt erst ermöglicht, dass junge Leute im Wattenmeer Zivildienst machen können. Seine Idee des Naturschutzes in dem Sinne, dass es nicht darauf ankommt, einzelne Arten zu schützen, sondern Lebensräume, hat mich sehr beeinflusst. Nach dem Studium hat mir dann Peter Prokosch vom WWF einen Arbeitsplatz im Wattenmeer angeboten und mir unter anderem auch ermöglicht, zwei Monate in Sibirien an Ringelgänsen zu arbeiten. Oetken wie Prokosch haben mich mit diesem großen Gedanken des weltweit vernetzten Naturschutzes sehr geprägt. Heute bin ich einer der vehementesten Vertreter des Wildnisgedankens in Nationalparken und von der Idee überzeugt, sie auch in Mitteleuropa zu ermöglichen.

Wo, wann und in welcher Funktion hast du dich eingesetzt? In welchen Gebieten, auf welchen Flächen, in welchen Einrichtungen, ehrenamtlich oder hauptamtlich? Welche Aufgaben hatten deine Wirkungsstätten? Was hast du dort konkret gemacht?

Zu Beginn während der Zivildienstzeit natürlich weitestgehend ehrenamtlich. Wir haben damals eine große Aktion durchgeführt: Es gab damals die Diskussion um die RWE-DEA und ihre Probebohrungen für die heute existierende Ölbohrinsel bei Trischen im zu gründenden Nationalpark. Wir haben nach gründlicher Vorplanung den Bohrstopfen im Wattenmeer besetzt und konnten damit eine große öffentliche Aufmerksamkeit erzielen. Die Aktion hat es bundesweit in die Presse geschafft und wurde auch in der Tagesschau gezeigt. Auch wenn wir die Ölbohrung nicht verhindern konnten, so war es doch eine sehr öffentlichkeitswirksame Naturschutz-Maßnahme.

Zusammen mit Kommilitonen habe ich während des Studiums Vorträge zu Naturschutzthemen gehalten. In Osnabrück haben wir eine Exkursionsreihe in Kiesgruben, Mooren und Wäldern ins Leben gerufen. Motiviert durch meine Zivildienstarbeit haben wir Ausstellungen erarbeitet. Die erste war über das Wattenmeer. Sie wurde im Rahmen eines WWF-Symposiums in Wilhelmshaven gezeigt. Dieser didaktische Aspekt, das Vermitteln mit dem Ziel, Begeisterung zu wecken, ist immer mein wesentliches Anliegen gewesen. Das war die ehrenamtliche Seite.

Hauptberuflich hatte ich eine Monitoring-Aufgabe. Da könnte ich still und leise vor mich hinzählen und alles schön aufschreiben und auswerten. Aber das hätte nicht meinem Naturell entsprochen. Ich bin immer mit meinen Naturschutzanliegen in die Öffentlichkeit gegangen. Seit mindestens 15 Jahren biete ich einmal im Jahr einen Bildungsurlaub „Wattenmeer und Halligland – Naturerkundung im Nationalpark“ an. Ich kann die Teilnehmer dann in einer entspannten Urlaubssituation ansprechen; Menschen, auf die ich sonst nicht treffen würde. Darunter sind Jäger, Krankenschwestern, Fischer aus Husum oder auch Stadtvertreter aus der Wasserbauabteilung, ein breit aufgestelltes Publikum. Diesen Menschen kann man in einer Woche beim Wattwandern ganz schön viel über das Wattenmeer und den Naturschutzgedanken vermitteln.

Hauptberuflich habe ich viele FÖJler, BFDler und andere Freiwillige fortgebildet und zu verschiedenen Themen Vorträge gehalten. Dazu zählten Fragen zur Naturschutz-Ethik, zum Wildnisgedanken, zur Wildnisvermittlung, zum Klimawandel im Wattenmeer sowie zum Konfliktfeld Küstenschutz/Naturschutz. Konzentriert habe ich mich aber auf Fragen des Salzwiesen-Managements. Das Monitoring ist für mich immer nur ein Vehikel gewesen.

Seit einem Jahr bin ich als Vorstandsmitglied aktiv in die Schutzstation Wattenmeer zurückgekehrt, um dort den Naturschutz weiter bewegen zu können.

Welche Programme, Richtlinien, Einrichtungen, Institutionen etc. haben deine Arbeit beeinflusst, und wie beurteilst du deren Wirkung zum Beispiel in Hinblick auf das Monitoring von den Salzwiesen?

Wenn ich mit den Richtlinien anfange, bezogen auf meine Arbeit in den Salzwiesen und damit natürlich auch in Richtung Klimaschutz, dann ist es die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie). Die Wasserrahmenrichtlinie war nicht so bedeutsam. Als die Wasserrahmenrichtlinie implementiert wurde, habe ich mich dafür eingesetzt, sie nicht mit unseren Salzwiesen-Daten zu bedienen. Ich habe schnell gemerkt, dass durch die Richtlinien- und Berichtspflichtbürokratie viel Zeit gebunden wird und dabei die praktische Umsetzung von Maßnahmen auf der Strecke blieb. Das Ziel kann ja nicht sein, die Berichtspflicht der Richtlinien zu füllen. Deshalb habe ich mich dafür eingesetzt, die Wasserrahmenrichtlinie in Schleswig-Holstein nicht zu bedienen. Mit der FFH-Richtlinie sind wir sehr gut aufgestellt. Sie gibt uns klare Vorgaben und hat sehr unterstützt, was wir in Richtung Salzwiesen-Extensivierung oder -Stilllegung vorangetrieben haben.

An Programmen muss ich das Vorland-Managementprogramm aus dem Jahr 1995 nennen. Damals war Berndt Heydemann Umweltminister, ein Genie, was die Sprache betraf. Ihm gelang es, ein Naturschutzgesetz durch das Kabinett zu bringen, das den Küstenschutz in den Salzwiesen verboten hat; und keiner hat es gemerkt. Irgendwann ist es natürlich doch aufgefallen und Küstenschutzbehörde und Naturschutzbehörde haben sich zusammengesetzt und gesagt: „Es wird Küstenschutz weiterhin geben müssen, aber es wird vor allen Dingen darum gehen, wie er ausgeführt wird.“

Wir, dazu gehörten auch mein damaliger Chef Detlef Hansen und Jacobus Hofstede aus dem Ministerium, haben mit dem Vorland-Managementkonzept ein wegweisendes Programm geschrieben, das bis heute existiert und aktuell fortgeschrieben wird. Darin haben wir die Ziele des Salzwiesen- und Küstenschutzes festgeschrieben und das Monitoring der Salzwiesen zu einem gemeinsam finanzierten und durchgeführten Projekt von Natur- und Küstenschutz gemacht.

Integriert haben wir auch das damalige Hallig-Programm. Wir haben angeboten, das Monitoring als Effizienznachweis für das Programm bei entsprechender Kofinanzierung durchzuführen. Das läuft bis heute so.

Neben der FFH-Richtlinie ist natürlich das Nationalparkgesetz die Grundlage der Arbeit. Das Gesetz mit seiner klaren Aussage „Natur Natur sein lassen“ ist sehr wegweisend. Es zielt vorrangig auf einen umfassenden Lebensraumschutz und nachrangig auf konkreten Artenschutz. Daneben sind natürlich das Bundes- und Landesnaturschutzgesetz zu nennen.

Was die Institutionen betrifft, ist es letztlich die Europäische Union durch ihre FFH-Richtlinie. Vom Bund, durch den die FFH-Richtlinie im Bundesnaturschutzgesetz implementiert wurde, haben wir eine gute Unterstützung erhalten. Wesentliche Grundlagen für das FFH-Monitoring sind seinerzeit in fruchtbarer Zusammenarbeit mit der Außenstelle des Bundesamtes für Naturschutz auf Vilm erarbeitet worden.

Wie haben sich die Aktivitäten flächenmäßig ausgewirkt? Sind die Flächen größer geworden oder haben sie sich qualitativ verändert?

Wir haben durch das Vorland-Managementprogramm von 1995 eine sehr gute Arbeitsbasis geschaffen. Mit diesem Programm haben wir erreicht, dass in einigen Salzwiesenbereichen seit der Einführung des Programms kein baulicher Küstenschutz mehr betrieben wird. Das waren Salzwiesen, die einen natürlichen Zuwachs zeigten, ohne dass der Küstenschutz dort aktiv war. Wir haben dann festgeschrieben, dass wir diese Bereiche gemeinsam beobachten. Dies ist gut anhand von Luftbildern möglich, da sie eine neutrale Datengrundlage darstellen.

1985 haben wir mit der ersten Datenerhebung im Nationalpark begonnen und dann ab 1989 alle sechs Jahre eine flächendeckende Vegetationserfassung aller Salzwiesen durchgeführt. In dem Zeitraum von über 30 Jahren systematischer Erfassung hat sich die Salzwiesenfläche um 27 Prozent vergrößert. Das Gros ist auf natürliche Art und Weise angewachsen; nicht in Lahnungsfeldern, nicht durch Küstenschutz initiiert, sondern aus sich selbst heraus; überwiegend in Dithmarschen im Elbmündungsbereich. Da herrschen unglaublich gute Sedimentbedingungen vor und es sind riesige Flächen dazugekommen. Die Salzwiesen weisen Strukturen auf, wie man sie sich schöner nicht vorstellen kann. FÖJ bedeutet Freiwilliges Ökologisches Jahr ÖBFD bedeutet Ökologischer Bundesfreiwilligendienst

Auch in Sankt Peter-Ording und in Westerhever sind weitere Flächen natürlich angewachsen. Je weiter man nach Norden kommt, umso geringer sind die Zuwächse. Es gibt dort deutlich geringere Sedimentation. Die vorhandenen Salzwiesen gedeihen dort im Schutz von Lahnungen.

Man kann sagen, dass dieses Nichtstun, die Idee „Natur Natur sein lassen“ viel bewirkt hat, sowohl in Quantität als auch Qualität. Die Quantität ist einfach zu messen, indem man alle paar Jahre mit dem Flugzeug darüber fliegt und Luftbilder erstellt. Zusätzlich schicken wir alle sechs Jahre Kartierer durch die Flächen. Damit erhalten wir auch gute Daten zur Qualität der Salzwiesen.

Bei der Qualitätsbeurteilung bestand das Problem, dass wir keine natürliche Referenz für eine „gute“ Salzwiese hatten. Es gibt keine natürlich entstandenen und langjährig unbeweideten Salzwiesen. Soweit wir die Situation kennen, sind die Salzwiesen immer als Schaf- oder Rinderweide genutzt und entwässert worden. Damit wurden sie auch strukturell verändert. Wir haben durch die Extensivierung und Stilllegung die Beweidung und die künstliche Entwässerung eingestellt und können nur beobachten, wie sich solche Flächen entwickeln. Die in den letzten dreißig Jahren natürlich angewachsenen Flächen vor der Küste in Dithmarschen können wir heute als Referenz nutzen.

Welche Ziele waren dir bei deiner Arbeit für den Naturschutz wichtig? Haben sich die Ziele im Laufe der Zeit verändert?

Ausgehend davon, dass der Naturschutz bei mir durch meine Arbeit im Wattenmeer begonnen hat, bin ich von Anfang an von der Idee geprägt gewesen, diesen Naturraum sich selbst zu überlassen. Also die Nationalpark-Zielsetzung „Natur Natur sein lassen“ umzusetzen. Das sehe ich nach wie vor als eine wichtige Aufgabe und als ein wichtiges Ziel an.

Was sich geändert hat, sind die Art und die Geschwindigkeit, mit der ich das erreichen möchte. Früher habe ich gedacht, da muss doch morgen schon etwas zu sehen sein. Diesen Anspruch habe ich heute nicht mehr. Ich habe durch über 30 Jahre Salzwiesen-Monitoring, -Forschung und -Management mein Wissen um die Salzwiesen im Nationalpark und deren Entwicklung vergrößern und erweitern können. Zusammengefasst sage ich heute: Die Natur braucht „lediglich“ Raum und Zeit, um sich selbst zu entwickeln. Der Naturschutz muss die Voraussetzung dafür schaffen und die Entwicklung begleiten. Wir können die Veränderung erfassen und untersuchen, aber wenn wir „Natur Natur sein lassen“ wollen, dann gibt es immer nur veränderte Zustände und kein festgelegtes Ziel. Dieses Vorgehen erfordert Weitblick und den Mut, diese Entwicklung zuzulassen. Artenschutz sollte immer nur kleinflächig geschehen und sehr gut begründet sein.

Für den Fall, dass eine Entwicklung gefährlich für den Schutz der Küste wird, dann kann dort auf der Basis von Daten Küstenschutz erforderlich sein. Dies haben wir auch so im Vorland-Managementprogramm festgeschrieben. Wir können keinen Verlust der Fläche hinnehmen, da schon in den letzten Jahrhunderten viele Salzwiesen eingedeicht worden sind. Wenn also im schleswig-holsteinischen Wattenmeer Salzwiesen substanziell zurückgehen, dann kann dort der Bau einer Lahnung sinnvoll sein, um an der Stelle wieder Schlick zu fangen. Das ist natürlich ein Eingriff, aber wenn der Schlick zurückkommt, brauchen wir in der Fläche nichts mehr tun und können sie auch innerhalb eines Lahnungsfeldes der naturnahen Entwicklung überlassen.

Was würdest du als deinen größten Erfolg in Sachen Naturschutz bezeichnen? Und warum?

Mein größter persönlicher Erfolg ist die Erarbeitung und Umsetzung des Salzwiesenschutzes. Das ist aber nicht nur mein Verdienst. Ohne das Zusammentreffen mehrerer Akteure wäre dies nicht möglich gewesen. Zu nennen sind der damalige Umweltminister Prof. Heydemann und mein Chef und langjähriger Nationalparkleiter Dr. Detlef Hansen. Beide haben den Salzwiesenschutz als wichtig erkannt und das Halligprogramm sowie das Küstenuferrandstreifen-Programm als Grundlage für den Salzwiesenschutz erarbeitet. Beide Programme sahen eine finanzielle Förderung vor, sofern Flächen extensiviert oder stillgelegt wurden.

Wir sind damals zu den Schäfern entlang der Küste gefahren und haben das Randstreifen-Programm erläutert. Die Schäfer bekamen damals eine substanzielle Entschädigung, sofern sie ihre Schafhaltung aufgaben. Dies ermöglichte uns, zusammenhängende Flächen stillzulegen und dauerhaft der natürlichen Entwicklung zu überlassen.

Und dann sind da ganz deutlich die Erfolge, die wir mit dem Küstenschutz erzielt haben. Dazu gehören neben dem Vorland-Managementprogramm die vielen Gespräche und das dadurch aufgebaute Vertrauen, um eine Basis für einen Austausch und eine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Das Monitoringprogramm ermöglichte es uns, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen, die von beiden Seiten getragen werden. Ich habe mir alle getroffenen Vereinbarungen dennoch schriftlich bestätigen lassen. Auf die kann dann auch mein Nachfolger sich jetzt beziehen. Diese Dokumente sollten nur dann zum Einsatz kommen, wenn man sich nicht mehr an Details erinnert oder wenn es Unstimmigkeiten gibt. Durch die Herausnahme großer Flächen der Salzwiesen aus der landwirtschaftlichen Nutzung und der Küstenschutznutzung konnten wir eine große Renaturierung oder besser Revitalisierung erzielen. Wir ermöglichen der Natur dadurch, ihren eigenen Weg zu gehen. Dann sind es die gestaltenden Kräfte wie Wasser, Wind und Strömung, die das Wattenmeer und die Salzwiesen modellieren.

Ferner konnte ich an der Wattenmeer-Strategie 2100 des Landes Schleswig-Holstein mitarbeiten. Auslöser für die Erarbeitung der Strategie war der Klimawandel mit seinem steigenden Meeresspiegel und damit die wachsende Anforderung an den Schutz der Küste durch Deiche, die Zunahme der Niederschläge und die Problematik der Hinterlandentwässerung. Salzwiesen wachsen bislang mit dem Meeresspiegel mit, während das Hinterland durch Trockenlegung und Bearbeitung sogar sinkt. Dies verstärkt die Problematik. Hinzu kommt ein Sedimentmangel im Wattenmeer selbst. Auf lange Sicht drohen weite Teile der Wattflächen quasi zu ertrinken.

Die Wattenmeer-Strategie 2100 sollte Wege aufzeigen, eine Klimaanpassung im Weltnaturerbe Wattenmeer vorzunehmen. Ziel dieser Wattenmeer-Strategie als gemeinsames Ziel von Küsten- und Naturschutz ist es, das Wattenmeer in seiner Einzigartigkeit mit seiner charakteristischen Dynamik entsprechend der Nationalparkzielsetzung, der Weltnaturerbe-Anerkennung und in seiner Funktion für den Schutz der Küste und für den Menschen zu erhalten. In der Strategie sind zwei wesentliche Optionen beschrieben: das Mitwachsen mit dem Meer durch ein Sedimentmanagement und die Verstärkung bestehender Deiche zu „Klimadeichen“ ohne Überbauung bestehender Schutzgebiete.

Das waren meine drei Meilensteine: das Salzwiesenschutz-Konzept, das Vorland-Management-Konzept und die Wattenmeer-Strategie.

Wann ist dir der Begriff Klimaschutz zum ersten Mal begegnet?

Für mich ist dieser Begriff erstmalig im Rahmen der Ökosystemforschung aufgetaucht. In diesem Endbericht zum Großforschungsprojekt im Wattenmeer von 1989 bis 1996 gibt es ein kurzes Kapitel zum Klimawandel. In diesem Kapitel sind ein paar Temperaturanstiegsdaten von verschiedenen Institutionen weltweit aufgelistet und es gibt Aussagen zur Entwicklung der bodennahen Lufttemperatur, zum Temperaturanstieg der Ozeane und zur Zunahme der Windgeschwindigkeit. Wir selbst haben eine Karte zu den potenziellen Auswirkungen von Klimaänderungen am Beispiel des nordfriesischen Wattenmeeres erstellt. Im beschreibenden Teil des Berichtes sind eine ganze Menge an klimarelevanten Punkten definiert. In einem weiteren Teil blicken wir nach vorne und beschäftigen uns mit den globalen Einflüssen der Klimaänderung. Und an einer weiteren Stelle haben wir den Klimawandel in Relation zu Küstenschutz thematisiert und dann Forschungsbedarf formuliert: Auswirkungen erhöhter UVB-Strahlung auf die Biologie, Auswirkungen der Remobilisierung von Nährstoffen und Schadstoffen auf das Ökosystem, Auswirkungen von Wassertemperaturen auf die Erhöhung der Primärproduktion und damit auf Arten und die Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs auf Genese und Dynamik von Salzwiesen. Auch zwei weitere Aspekte sind angesprochen: Untersuchungen zu hydrologischen, geomorphologischen und biologischen Auswirkungen von Sandentnahmen im Wattenmeer auf den Küstenschutz und die Rolle der Vegetation, Beweidung und künstlichen Entwässerung auf die Sedimentation und Erosion in Salzwiesen. Das für mich heute ganz zentrale Stichwort CO2-Senke in der Salzwiese – Stichwort Blue Carbon – findet man in dem Bericht nicht. Als wir die Salzwiesen aufgelassen haben, wurde die Kohlenstoff-Speichermöglichkeit intensiver thematisiert. Vorher war das kein Thema.

In der trilateral besetzten Salt Marsh Expert Group, inzwischen heißt sie Salt Marsh and Dune Expert Group, wurde die Thematik dann aufgegriffen. In den ersten Jahren wurde diese Arbeitsgruppe von Prof. Jan Bakker aus Groningen geleitet. Der hat schon vorher regelmäßig ein jährliches Treffen mit den gesamten Doktoranden, die in Europa an Salzwiesen arbeiteten, organisiert. Durch den Kontakt nach England tauchte unter dem Stichwort Ökosystem-Dienstleistung die CO2-Senkenfunktion das erste Mal auf. Die Blue-Carbon-Idee zeigt auf, dass Salzwiesen, Seegraswiesen und Mangroven die größten natürlichen CO2-Senken sind, die wir im Küstenraum haben. Als Expert Group haben wir viel Forschung in diese Richtung stimuliert, aber die Ergebnisse sind noch nicht eindeutig für die Salzwiesen. Nach wie vor wird intensiv daran geforscht.

In drei Großprojekten, bei denen ich mitgearbeitet habe, hat sich eine Arbeitsgruppe der Uni Hamburg der Thematik angenommen. BASSIA1 war das erste, das zweite INTERFACE2 und das dritte WEPPS3, ein Freilandexperiment zu den Effekten des Klimawandels in den Salzwiesen der Hamburger Hallig.

1 Biodiversität, Management und Ökosystemfunktionen von Salzmarschen im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer – BASSIA, 2009-2013.

2 INTERaction of Fish, plAnts, Carbon & sEdiment: Management and ecosystem functions of Wadden Sea salt marshes – INTERFACE, 2014-2018.

3 Warming Effects on Plant Soil interplay and ecosystem functioning in Wadden Sea Salt marshes – WEPPS, 2018-2022.

Hast du Klimaschutzaspekte bei deiner Naturschutzarbeit aktiv mit einbezogen? Wo und wann ist dir das mit welchen Maßnahmen gelungen.

Ja, in den Salzwiesen über das Bekanntmachen dieses Phänomens und seiner Bedeutung für den Naturschutz. Ich habe Klimaschutzaspekte in die gesamte Öffentlichkeitsarbeit, schwerpunktmäßig in die Ausbildung der freiwilligen Naturschutz-Mitarbeiter integriert. Eine ehemalige Kollegin von mir, Elisabeth von Meltzer, hat ein ganzes Projekt zum Thema Klimaschutz mit einer Arbeitsgruppe erarbeitet, an der ich mitgewirkt habe. Dieses Projekt ist als Unterrichtseinheit sehr erfolgreich in den Oberstufen der Schulen eingeflossen.

Ich lese bis heute regelmäßig z. B. den amerikanischen NOAA-Newsletter1, der in meinen Augen immer up to date die besten Klimadaten weltweit vermittelt. Das Pünktchen für den CO2-Gehalt wandert leider immer höher und die Eismassen in Arktis und Antarktis gehen kontinuierlich weiter zurück.

Auch in meinen Bildungsangeboten zur Naturerkundung im Wattenmeer thematisiere ich Klimaschutzaspekte mit einer eigenen Einheit am Beispiel der Halligen. Auf den Halligen sind die Menschen unmittelbar vom Meeresspiegelanstieg betroffen. Die Hallig-Leute sind wenig bereit, Klimaanpassungsmaßnahmen zu akzeptieren, außer hohe Warften. Sie verlassen sich auf den Staat und die nun nach und nach gebauten Klimawarften.

1NOAA = National Oceanic and Atmospheric Administration U.S. Department of Commerce

Haben sich im Nachhinein Maßnahmen, die andere Ziele verfolgten, deiner Meinung nach als klimarelevant erwiesen?

In jedem Fall. Die Klimarelevanz des Salzwiesenschutzes war uns von Anfang nicht so im Bewusstsein. Dies gilt insbesondere für die CO2-Senkenfunktion. Das gilt gleichermaßen für Seegraswiesen. Natur- und Umweltschutzaspekte insgesamt haben aber beigetragen, dass sich die Umweltbedingungen im nordfriesischen Wattenmeer deutlich verbessert haben. Insbesondere sind die Phosphoreinträge durch bessere Kläranlagen zurückgegangen. Möglicherweise ist auch die Trübung geringer geworden als in anderen Teilen des Wattenmeers. Beides hat dazu beigetragen, dass die Seegraswiesen sich wieder ausbreiten konnten und damit vermehrt CO2 sammeln und diesen im Wattboden binden.

In welchen Bereichen ist die Integration von Naturschutz und Klimaschutz am besten gelungen? Was waren die entscheidenden Faktoren?

Eine gute Integration gab es im Wechselfeld Salzwiesenschutz und Küstenschutz. Gelungen ist es, weil sich alle Beteiligten an einen Tisch gesetzt haben. Ein offenes Miteinander war ein wichtiger Faktor für den Aufbau einer Vertrauensbasis. Der Küstenschutz beklagte ein Defizit an Personal. Aufgrund der Naturschutzzielsetzung im Nationalpark – Natur Natur sein lassen – bestand große Sorge hinsichtlich der Auswirkungen auf den Personalbedarf im Küstenschutz. Aufbauend auf das schon erwähnte Vorland-Management-Konzept ist dann ein Fachplan Regiebetrieb erarbeitet worden. In diesem Fachplan haben Küsten- und Naturschutz gemeinsam argumentiert, dass für bestimmte Aufgaben mehr Personal erforderlich sei. Diese Unterstützung bedeutete Vertrauensgewinn. Die so gewonnene Vertrauensbasis, der ehrliche Umgang miteinander, die klare Sachlagenschilderung und das Einhalten von Absprachen, waren sehr entscheidende Faktoren.

In welchen Bereichen hat das Einbeziehen der Klimaschutzaspekte gar nicht funktioniert? Woran lag das? Am fehlenden Wissen/Bewusstsein, an Sachzwängen oder an handelnden Personen?

Diese Frage finde ich schwer für das Wattenmeer zu beantworten. Einen Aspekt wüsste ich, wo Klimaschutzaspekte nicht genügend berücksichtigt wurden. Das betrifft nicht unmittelbar den Nationalpark, sondern nur mittelbar: die Entscheidung zur Förderung von Biogasanlagen. In jedem Dorf hat es daraufhin einen unglaublichen Anstieg im Anbau von Mais gegeben. Diese Entwicklung ist in meinen Augen nicht nachhaltig. Die Förderung berücksichtigte nur den Energieaspekt. Für den Naturschutz bedeutet dies eine extreme Verarmung der Landschaft, einen Artenschwund und eine steigende Düngebelastung, die auch Einfluss auf das Wattenmeer hat. Es war eine Entscheidung, die möglicherweise nicht alle Konsequenzen gründlich bedacht hat. Vielleicht lag es an fehlendem Wissen, vielleicht hat man sich zu wenig in die Situation eines Bauern versetzt, der natürlich eine Gewinnmaximierung anstrebt und Naturschutzaspekte möglicherweise nicht berücksichtigt.

Gibt es, wenn du auf einzelne Projekte zurückblickst, Dinge, die du heute in Bezug auf den Klimaaspekt anders machen würdest?

Ganz eindeutig nein. In meinem eigenen Arbeitsfeld wüsste ich nichts.

Wie sieht für dich erfolgreicher Naturschutz verbunden mit Klimaschutz in Zukunft aus, und wo siehst du die Grenzen des Zusammenwirkens von Natur und Klimaschutz?

Ich finde es dringend erforderlich, dass bei allen Überlegungen des Naturschutzes die Aspekte des Klimaschutzes Berücksichtigung finden. Sie müssen immer mitgedacht werden: Vor- und Nachteile, Konsequenzen, Wirkungen und so weiter. Grenzen gibt es natürlich in meinem Arbeitsfeld, konkret beim Schutz der Küsten. Da liegt noch ein sehr langer Weg hinsichtlich klimaangepasster Landes- und Raumplanung vor uns. Die Parameter Raum und Zeit sind für mich heute bei allen Fragen sehr relevant. Da ist der Aspekt des Raumes: Im Moment sagen wir, das Wattenmeer hört da auf, wo der Deich steht. Das wird auf Dauer nicht haltbar sein. Der zweite Aspekt ist, dass viele Entwicklungen Zeit brauchen. Das betrifft sowohl den Naturschutz als auch Küstenschutz und vor allen Dingen die Umsetzung der Anpassungsoptionen, die in der Wattenmeer-Strategie 2100 verabredet worden sind. Konsequentes und zielgerichtetes Umsetzen ist erforderlich. Der Atem und der Zeithorizont müssen viel länger sein, sowohl in der Umsetzung der erforderlichen Arbeiten, der konsequenten Berücksichtigung der Klimaaspekte als auch im vorausschauenden Planen.

Das findet bei uns im Naturschutz – und ich verstehe mich als jemand, der im Wattenmeer Naturschutz macht – mittlerweile überall statt. Ein konkretes Beispiel wird derzeit von der Schutzstation Wattenmeer in Sankt Peter-Ording in einem Naturschutzprojekt in den Dünen umgesetzt, in dem genau diese Aspekte Berücksichtigung finden. Gleiches gilt für den sehr konsequent betriebenen Moorschutz in Schleswig-Holstein.

Welche Ziele und Herangehensweisen hältst du in diesem Zusammenhang für realistisch?

Das habe ich genügend beantwortet.

Welche Fehler dürfen auf keinen Fall gemacht werden?

Es gibt hinsichtlich des Klimaschutzes immer noch Zweifler. Viele sagen: „So schlimm ist das doch gar nicht“, andere leugnen Klimaaspekte vollkommen. Eine Ursache ist nach meiner Auffassung, dass wir bestimmte Entwicklungen im Wattenmeer ja nicht unmittelbar sehen können. Drei oder vier Millimeter Meeresspiegelanstieg im Jahr können wir nur messen aber nicht sehen. Es ist daher extrem wichtig, dass eine neutrale Datenbasis geschaffen wird, die die Entwicklung beschreibt und somit aufzeigt. Solche Messwerte und Monitoring-Daten liefern eine verlässliche Grundlage über die Zeit. Es ist zudem wichtig, auf eine neutrale Wissenschaft zu vertrauen. Zusätzlich sind gesellschaftlich getragene gemeinsame Maßstäbe zu definieren, auf dessen Basis eine Diskussion und Umsetzung stattfinden kann. Eine Diskussion aus dem Bauch heraus oder auf der Basis von vermeintlichem Wissen ist eher kontraproduktiv.

Ich denke positiv und hoffe, dass wir aus gemachten Fehlern lernen können.